Die Brooklyn-Revue
und der Kette von Ereignissen ab, die mich dazu gebracht hatten, der S. p. M. diesen verfluchten Tinnef abzukaufen. Aber Toms Boss war an diesem Abend gut in Form, und unterstützt von einem Scotch vor dem Essen und dem Wein, den ich zu meinen Blue-Point-Austern trank, kam ich allmählich aus meiner finsteren Laune heraus und konzentrierte mich auf die Gegenwart. Harrys Bericht von seinen Chicagoer Verbrechen deckte sich mit dem, was Tom mir erzählt hatte, von einer denkwürdigen und amüsanten Ausnahme einmal abgesehen. Bei Tom war Harry weinend zusammengebrochen; von Reue überwältigt, hatte er mit sich gehadert, weil er seine Ehe, seine Existenz, seinen Namen ruiniert hatte. Bei mir hingegen zeigte er keine Spur von Reue, prahlte vielmehr mit dem großartigen Coup, den er volle zwei Jahre lang durchgezogen hatte, und betrachtete sein Abenteuer in der Welt der Kunstfälscher rückblickend als eine der schönsten Phasen seines Lebens. Wie war dieser radikale Wandel zu erklären? Hatte er Tom etwas vorgemacht, um sein Mitgefühl und Verständnis zu gewinnen? Oder war diese ersteBeichte, unmittelbar nach Floras unheilvollem Besuch in Brooklyn, eine echte Herzensergießung gewesen? Schon möglich. Jeder Mann hat mehrere Seelen in seiner Brust, und die meisten von uns fahren ständig von einer in die andere, ohne je genau zu wissen, wo sie gerade sind. Am einen Tag himmelhoch jauchzend, am nächsten zu Tode betrübt; mürrisch und wortkarg am Morgen, munter Witze reißend am Abend. Als er mit Tom gesprochen hatte, war Harry niedergeschlagen, und jetzt bei mir, belebt von seinen geschäftlichen Plänen, sprudelte er vor Tatendrang.
Unsere T-Bone -Steaks wurden gebracht, wir gingen zu einer Flasche Roten über, und dann machte Harry der Spannung endlich ein Ende. Er hatte mich ja schon auf eine Überraschung vorbereitet, aber selbst wenn ich hundertmal hätte raten dürfen, wäre ich niemals auf die verblüffende Neuigkeit gekommen, die er jetzt in aller Seelenruhe verkündete.
«Gordon ist wieder da», sagte er.
«Gordon», wiederholte ich, so perplex, dass mir nichts anderes einfiel. «Du meinst Gordon Dryer?»
«Gordon Dryer. Mein alter Gefährte in Sünde und Übermut.»
«Wie hat er dich denn bloß aufgespürt?»
«Du sagst das, als sei das etwas Schlechtes, Nathan. Ist es aber nicht. Ich bin sehr, sehr glücklich.»
«Nach dem, was du ihm angetan hast, würde ich annehmen, dass er dich umbringen will.»
«Das habe ich zuerst auch gedacht, aber das alles ist längst ausgestanden. Der Groll, die Verbitterung. Der arme Kerl hat sich in meine Arme geworfen und mich um Vergebung angefleht. Kannst du dir das vorstellen? Er wollte, dass
ich ihm
vergebe.»
«Aber du hast ihn doch ins Gefängnis gebracht.»
«Sicher, aber der Plan für das Ganze stammte ja von ihm. Wenn er das nicht ins Rollen gebracht hätte, wäre keiner von uns in den Bau gewandert. Das wirft er sich vor. Er hat in den Jahren viel nachgedacht, und er sagt, am Ende habe er die Vorstellung nicht mehr aushalten können, dass ich denken könnte, er sei deswegen immer noch sauer auf mich. Gordon ist kein Kind mehr. Er ist jetzt siebenundvierzig und seit den Chicagoer Zeiten sehr viel erwachsener geworden.»
«Wie viele Jahre hat er im Gefängnis gesessen?»
«Dreieinhalb. Dann ist er nach San Francisco und hat wieder zu malen angefangen. Leider ziemlich erfolglos. Er hat sich mit Zeichenunterricht und anderen Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, und dann hat er sich in einen Mann verliebt, der in New York lebt. Deswegen ist er jetzt in der Stadt. Er ist aus San Francisco weg und Anfang letzten Monats bei ihm eingezogen.»
«Und der Mann hat Geld, nehme ich an.»
«Einzelheiten sind mir nicht bekannt. Aber ich vermute, er verdient genug, dass es für sie beide reicht.»
«Gordon, der Glückspilz.»
«Na ja, geht so. Wenn man bedenkt, was er alles durchgemacht hat. Dazu kommt noch, dass er mich liebt. Er mag seinen Freund schon sehr, aber mich liebt er. Und ich liebe ihn auch.»
«Ich möchte mich ja nicht in dein Privatleben einmischen – aber was ist mit Rufus?»
«Rufus habe ich sehr gern, aber unsere Beziehung ist rein platonisch. Wir kennen uns seit vielen Jahren, haben aber noch nie eine Nacht miteinander verbracht.»
«Und mit Gordon ist es anders.»
«Ganz anders. Auch wenn er nicht mehr der Jüngste ist, ist er immer noch ein sehr schöner Mann. Ich kann dir nichtsagen, wie gern ich ihn habe. Wir sehen uns nicht oft, und du
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