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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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dickes fettes Nichts.»
    «Damit dürftest du Recht haben.»
    «Thomas Wentworth Higginson ‹korrigierte› Emily Dickinsons Gedichte. Ein aufgeblasener Ignorant, für den Whitmans
Grashalme
ein unmoralisches Buch war, wagtees, sich am Werk der göttlichen Emily zu vergreifen. Und der arme Poe, der in Baltimore geisteskrank und betrunken in der Gosse verreckte, hatte das Pech, ausgerechnet Rufus Griswold zu seinem literarischen Nachlassverwalter zu bestimmen. Ohne zu ahnen, dass Griswold ihn verachtete, dass dieser so genannte Freund und Unterstützer Jahre damit verbringen würde, seinen guten Ruf zu zerstören.»
    «Der arme Poe.»
    «Ja, Eddie war ein Pechvogel. Schon zu Lebzeiten, und erst recht nach seinem Tod. 1849 wurde er in Baltimore begraben, aber erst sechsundzwanzig Jahre später wurde auf seinem Grab ein Stein errichtet. Ein Verwandter hatte zwar unmittelbar nach seinem Tod einen bestellt, aber die Sache endete mit einem ebenso komischen wie grauenhaften Fiasko, dass man sich nur noch fragen kann, wer eigentlich wirklich die Welt regiert. Hier hast du ein Beispiel für menschliche Torheit. Der Steinmetz hatte seinen Betrieb direkt unterhalb eines Eisenbahndamms. Kurz bevor die Beschriftung des Grabsteins fertig war, kam es zu einer Entgleisung. Der Zug stürzte in den Hof und zertrümmerte den Stein, und da der Verwandte nicht genug Geld hatte, einen neuen in Auftrag zu geben, musste Poe ein Vierteljahrhundert lang in einem namenlosen Grab verbringen.»
    «Woher weißt du so was alles, Tom?»
    «Das ist doch allgemein bekannt.»
    «Mir nicht.»
    «Du hast ja auch nicht studiert. Während du da draußen warst und die Welt im Namen der Demokratie sicherer gemacht hast, habe ich in einer Lesenische der Bücherei gehockt und mir den Kopf mit nutzlosen Informationen voll gestopft.»
    «Und wer hat den Stein schließlich bezahlt?»
    «Ein paar Lehrer aus der Stadt, die ein Komitee gegründethaben, um das Geld aufzutreiben. Zehn Jahre haben sie dafür gebraucht, falls du das glauben kannst. Als das Denkmal fertig war, wurden Poes Überreste exhumiert, durch die Stadt gekarrt und auf einem anderen Friedhof Baltimores erneut beigesetzt. Am Morgen der Enthüllung wurde an der Western Female High School eine spezielle Feier abgehalten. Toller Name, oder?
Western Female High School.
Jeder bedeutende amerikanische Dichter war eingeladen, aber Whittier, Longfellow und Oliver Wendell Holmes hatten alle eine Ausrede parat. Nur Walt Whitman nahm die Mühe der Reise auf sich. Da sein Werk mehr wert ist als das aller anderen zusammen, halte ich das für einen großartigen Akt poetischer Gerechtigkeit. Interessanterweise war auch Stéphane Mallarmé an diesem Morgen mit dabei. Nicht leibhaftig – aber mit seinem berühmten Sonett «Le Tombeau d’Edgar Poe», das er zu diesem Anlass geschrieben hatte, und auch wenn er es nicht rechtzeitig zum Tag der Feier vollenden konnte, war er doch immerhin im Geiste anwesend. Das gefällt mir sehr, Nathan. Whitman und Mallarmé, die Väter der modernen Dichtung, gemeinsam in der Western Female High School, um ihren gemeinsamen Vorfahren zu ehren, den geschmähten und verrufenen Edgar Allan Poe, den ersten echten Schriftsteller, den Amerika der Welt geschenkt hat.»
    Ja, Tom war hervorragend in Form an diesem Tag. Ein wenig überdreht, mag sein, aber jedenfalls war sein weitschweifiges, gelehrtes Geplauder ein wirksames Mittel, die Eintönigkeit der Fahrt vergessen zu machen. Er trabte munter in eine Richtung los, kam an eine Abzweigung und schwenkte scharf in eine andere Richtung, ohne lange zu überlegen, ob es nach links oder rechts gehen sollte. Alle Wege führten nach Rom, könnte man sagen, und da Rom nichts Geringeres war als die gesamte Literatur (über dieer alles zu wissen schien), spielte es keine Rolle, wofür er sich entschied. Von Poe kam er plötzlich auf Kafka zu sprechen. Gemeinsam war den beiden das Alter, in dem sie starben: Poe mit vierzig Jahren und neun Monaten, Kafka mit vierzig Jahren und elf Monaten. Das war eine dieser wenig bekannten Tatsachen, für die sich nur jemand wie Tom interessierte, aber da ich selbst mein halbes Leben lang Versicherungsstatistiken studiert und über Sterberaten in verschiedenen Berufszweigen nachgedacht hatte, fand ich es auch ziemlich interessant.
    «Zu jung», sagte ich. «Mit den heutigen Medikamenten und Antibiotika hätten sie gute Chancen gehabt, älter zu werden. Sieh mich an. Wäre ich vor dreißig oder vierzig Jahren an

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