Die Bruderschaft Christi
Ziffern versehen waren. I/VIII-GB XXI, er fand den Ordner sogleich und zog ihn aus dem Regal. Staub erfüllte die gekühlte Luft, doch der Ordner selbst erschien sauber. Er ging zurück zum Schreibtisch und suchte weiter in der Übersicht nach Hinweisen, aus denen sich Spuren ergeben könnten. Ein interessanter Eintrag wies auf Aufzeichnungen der Grabungsarbeiten bei Qumran hin. Auch diese Ordner besorgte er sich und stapelte sie auf dem Schreibtisch. Ein weiterer Ordner erregte sein Interesse. Er stand in Raum II und handelte von den Tempelrittern, doch die letzten Eintragungen stammten aus der Neuzeit. Diesen Ordner nahm er sich zuerst vor.
Es waren Dokumente und Urkunden, allerdings nur in lateinischer Abschrift, darin enthalten, die von der Gründung des Ordens und der Fürsprache des einflussreichen Abtes Bernhard von Clairvaux im Jahre 1129 n. Chr. zeugten. Der erste Großmeister der Templer, Hugo de Payens, hatte für seinen Orden die uneingeschränkte Souveränität vom Papst gefordert. Keine weltliche Macht sollte über dem Orden Pauperes commilitones Christi templique Salomonici Hierosalemitanis, wie er zur damaligen Zeit von seinen Gründervätern genannt worden war, stehen und gebieten. Allein der Papst wurde als Obrigkeit anerkannt. Und Hugo de Payens erhielt, wonach ihm dürstete, die uneingeschränkte Macht. Bald schon wuchsen die Zahl der Mitglieder und der Reichtum der Armen Ritterschaft Christi vom salomonischen Tempel. Betuchte Ritter und Adelsleute traten bei und gaben einen Großteil ihrer Habe ab. Aber auch die Kurie trug einiges zum Reichtum bei und überschrieb dem Orden Ländereien und Besitztümer in allen Teilen der damals bekannten Welt. Die Ritter handelten mit den Ungläubigen, gründeten Banken und führten ein Kreditsystem ein, das ein paar Jahrhunderte später noch Bestand hatte. Kurzum, die Kirche, respektive der Papst, gab einen Großteil der eigenen Souveränität preis, und das, obwohl der Erzbischof von Avignon vor den ersten Gründungsmitgliedern des Ordens warnte. In einem Brief nannte er den Orden ein Sammelsurium aus Habenichtsen, Beutelschneidern und ketzerischen Elementen. Besonders hob er zwei Ritter hervor, die durch Amtmänner und Landvögte wegen ihrer Verbrechen gegen den Grafen und die Obrigkeit als vogelfrei erklärt worden waren. Unter anderem wurde dort ein Ritter mit dem Namen Renaud de Saint-Armand erwähnt. Pater Leonardo fuhr sich mit der Hand über die Augen. Er überlegte. Der gefundene Templer vor den Toren Jerusalems hieß Renaud, Renaud de Saint-Armand. Sollte es sich bei ihm um den beschriebenen Taugenichts handeln? Doch der Papst hielt offenbar nur wenig von den Einwänden des Bischofs. Im Konzil von Troyes wurden die Ordensregeln festgelegt und der Templerorden somit vom Papst höchstpersönlich legalisiert. Als er die Namen der ersten neun Templer auf der Urkunde entzifferte, stutzte er. Von einem Ritter Renaud de Saint-Armand war keine Rede, jedoch gab es unter den Ordensgründern einen Ritter, der den Namen Archibald von Saint-Armand trug. Hatte der Ritter seinen Namen geändert, weil er tatsächlich in Teilen Frankreichs geächtet war?
Pater Leonardo zuckte mit der Schulter und las weiter. Die Eintragungen wurden spärlicher. Die Papstbulle Omne datum optimum war das letzte Dokument, das aus der frühen Zeit stammte. Die Aktivitäten waren vielfältig, doch offenbar blieben sie der Kirche verborgen. Aus dem Jahr 1305 stammten weitere Dokumente. Diese waren allesamt aus Frankreich und enthielten Beschuldigungen der Blasphemie bis hin zu ausufernden gleichgeschlechtlichen sexuellen Praktiken innerhalb der Ritterschaft des Ordens. Das letzte Dokument war ein geheimer Brief an den französischen König Phillip, den Papst Clemens im September 1307 verfasst hatte. Er enthielt die Anordnung, sich der Templer im Handstreich zu bemächtigen und ihre Habe zu beschlagnahmen, damit ihnen allesamt der Prozess gemacht werden könne. Als Begründung führte Papst Clemens Ketzerei, sexuelle Abartigkeit und die Verhöhnung des Leibes Christi an.
Damit schloss sich das Kapitel der Templer in Europa, und sie verloren an Bedeutung, wenngleich – das wusste Pater Leonardo noch aus den langen Stunden des Geschichtsstudiums auch nicht alle Templer ins Netz ihrer Verfolger gerieten. Einige entkamen offenbar nach Schottland, manche – so wurde behauptet – in eine neue Welt, vermutlich nach Amerika, das erst zweihundert Jahre später entdeckt werden sollte.
Pater
Weitere Kostenlose Bücher