Die Bruderschaft Christi
so ausrichteten, dass sie sanft auf ihrem weichen Bett landete.
In der geöffneten Grabkammer herrschte staunendes Schweigen. Aaron schaltete den Generator ab und stieg über die Leiter hinab in die Gruft. Neben Tom blieb er stehen.
»Das ist unfassbar«, sagte er leise, um die Andacht nicht zu stören. »Er ist nicht verwest, er ist ein Mensch geblieben.«
Tom nickte. »Die warme und salzhaltige Luft hier drinnen hat seinen Körper ausgetrocknet und mumifiziert.«
Ein Gewirr aus Fasern umschlang den Körper des Toten.
»Der Mantel hat die Zeit nicht überstanden«, kommentierte Tom Aarons neugierigen Blick. »Und die Rüstung ist porös und verrostet. Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir sie vom Körper lösen. Sonst zerfällt sie zu Staub.«
»Wie viel wiegt der Sarg ungefähr?«
Tom musterte den steinernen Sarkophag. »Ich schätze etwa eine Tonne.«
»Und was ist das für ein Köcher, der links neben dem Leichnam liegt?«
Tom zuckte mit den Schultern. Professor Chaim Raful, der in der Nähe stand, wandte sich zu den beiden um.
»Es ist ein Tongefäß, so etwas habe ich schon einmal gesehen«, sagte er. »Vielleicht eine Art Wegzehrung für den langen Weg ins Paradies.«
»Sie meinen, darin könnte sich Nahrung oder so etwas befunden haben, Herr Professor?«, antwortete Tom. »Bei einem Christenmenschen?«
»Das könnte doch sein«, entgegnete Raful und trat an den Rand des Sarges. Er griff nach einer Brechstange, die neben dem Sarg lag, und hob sie auf. Vorsichtig schob er das dunkle Gewölle auseinander, das wohl einmal der Mantel des Ritters gewesen war. Ein Teil einer tönernen Scheibe kam zum Vorschein. Vorsichtig legte Chaim Raful die Applike frei. Sie ähnelte der Scheibe, die er vor kurzem in Tel Aviv der Presse präsentiert hatte, doch sie war in der Mitte zerbrochen. Er schob die beiden Teile zusammen.
Lautes Gemurmel erhob sich unter den Anwesenden. Die Scheibe zeigte an der Oberseite den Himmel, der in zwei Hälften geteilt war, so als habe er sein Tor geöffnet. Eine Figur auf einer Wolke schwebte darüber und hielt einen langen Stab in der Hand. Unterhalb dieser Darstellung, auf einem Berg, war ein Scheiterhaufen aufgebaut, aus dem die Flammen dem Himmel entgegenschlugen.
»Schnell, einen Pinsel«, forderte Chaim Raful.
Gina beeilte sich und reichte ihm einen Pinsel mit weichen Borsten. Vorsichtig strich Chaim Raful über den kleinen runden Teller. Im Scheiterhaufen wurde eine Gestalt sichtbar, die ihre Hände dem Himmel entgegenstreckte.
»Das ist der endgültige Beweis«, sagte Chaim Raful laut. »Diese Gestalt ist Jesus, und er liegt auf einem Scheiterhaufen. Er ist nicht aufgefahren in den Himmel. Sein Körper hat nie ein Grab gesehen, denn er wurde verbrannt.«
Jonathan Hawke trat an Rafuls Seite und schaute ihn fragend an. »Du hast gewusst, was wir darin finden würden«, sagte er mit einer Bestimmtheit, die keinen Widerspruch duldete.
Chaim Raful lächelte. »Das wird Rom nicht gefallen, was ich hier in meinen Händen halte.«
Jerusalem, Christliches Viertel nahe dem Neuen Tor …
Gideon blickte sich suchend um. Wo war Pollak nur, er hatte doch versprochen, dass er ihn hier erwartete. Noch immer stand er unter dem Eindruck des heutigen Tages am Grabungsfeld. Er hatte in das Gesicht eines Menschen geblickt, der vor 878 Jahren in Jerusalem beerdigt worden war. Ein Kreuzfahrer, der sein Leben für seinen Glauben hingegeben hatte, einem Glauben, der nach dem Fund des Wandtellers im Sarkophag mehr als fragwürdig und umstritten war. Sicherlich, immer schon hatte es Leute gegeben, die an den Darstellungen eines auferstandenen Jesus zweifelten. Glauben heißt eben, nicht wissen. Aber wenn der Körper von Jeschua aus Nazareth nach dem Tod tatsächlich von den Römern verbrannt worden war, wie konnte er dann einem Grab entsteigen? Alle Evangelisten behaupteten in ihren Schriften, dass Jesus, der Sohn Gottes, beerdigt worden und nach drei Tagen wiederauferstanden ist. Doch wie sollte er, wenn sein Körper ein Raub der Flammen und seine Asche in alle Winde zerstreut worden war?
Solomon Pollak würde für diese Neuigkeit ein ganzes Stück tiefer in seine Tasche greifen müssen.
Gideon schaute sich um. Die Lichter in den Straßen erhellten eine scheinbar friedliche Stadt, die seit Jahrtausenden nicht mehr zur Ruhe gekommen war. Christen, Moslems, Armenier, Juden, Türken: Jerusalem war ein Sammelbecken der verschiedenen Kulturen. Gideon, der als Jude geboren war, doch
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