Die Bruderschaft Christi
versuchte sich Pater Leonardo zu rechtfertigen.
»Sie glauben«, wiederholte der Kardinalpräfekt höhnisch. »Was glauben Sie? Sie glauben, dass dieser jüdische Professor nicht ernst genommen wird von der Welt. Sie glauben, dass er unserer Kirche nicht schaden kann. Wann haben Sie das letzte Mal eine heilige Messe besucht? Ich meine nicht hier im Vatikan, sondern draußen in der Welt. Sagen wir in einem Dorf oder einer kleinen Stadt. Ihnen werden die Augen übergehen. Leere Bänke, nur noch alte Leute, keine Jugend und keine Menschen im mittleren Alter. Diese Kirche hat Probleme, die Menschen zu mobilisieren. Diese Kirche steht vor einem großen Problem, mein Lieber. Und da ist es nicht an der Zeit, irgendwelche Spiele zu treiben. Es ist an der Zeit, zu agieren und nicht nur darauf zu reagieren, was unsere Widersacher unternehmen, und ihre Unternehmungen hämisch zu belächeln.«
»Ich habe meine Kontakte genutzt, Eure Eminenz«, antwortete Pater Leonardo kleinlaut. »Wir haben einen Mann in Jerusalem, der ein argwöhnisches Auge auf die Grabungsarbeiten am Fuße des Ölberges wirft.«
»So«, erwiderte der Kardinalpräfekt und zog das Wort in die Länge, dass der sarkastische Unterton nicht zu überhören war. »Dann ist Ihnen sicherlich auch bekannt, was in einer Gruft auf dem Grabungsfeld gefunden wurde?«
Pater Leonardo fluchte innerlich, dass er sich nicht vor der Rückkehr des Kardinalpräfekts an seinen Kontaktmann in Paris gewandt hatte. Vielleicht hatte er doch die Wichtigkeit und die Brisanz dieser Arbeiten unterschätzt.
»Die Archäologen sind auf die Überreste einer alten römischen Garnison gestoßen, die aus der Zeit um Jesu Christo stammen könnte. Professor Raful ist Leiter der Ausgrabungen. Offenbar wurde eine Applike vorgefunden, die eine Szene aus dem Leben unseres Herrn zeigt. Die Kreuzigung. Aber das ist noch lange kein Beweis für die These dieses Professors.«
Der Kardinalpräfekt schnitt Pater Leonardo mit einer Handbewegung das Wort ab.
»Sie wissen gar nichts!«, zischte er böse. »Sie haben es noch nicht einmal für notwendig gehalten, sich richtig über den Stand der Ausgrabungen zu informieren.«
Pater Leonardo machte eine schuldbewusste Miene und zuckte mit der Schulter.
»Sie sind auf das Grab eines Kreuzritters aus dem frühen zwölften Jahrhundert gestoßen«, belehrte der Kardinalpräfekt seinen Sekretär. »Dieses Grab enthält offenbar Indizien, die unserer Kirche durchaus gefährlich werden könnten, wenn sie sich in den Händen eines fanatischen Häretikers befinden. Kardinal Borghese hat mich informiert. Er traut Ihnen nicht und hat selbst Nachforschungen anstellen lassen. Und, wenn ich es mir richtig überlege, war das ganz gut so.«
»Ich wusste nicht …«
»Das ist es eben«, herrschte der Kardinalpräfekt seinen Untergebenen an. »Sie wissen überhaupt nichts, und Sie unternehmen auch nichts, weil Sie innerlich diese Angelegenheit belächeln und Kardinal Borghese für einen nervösen und ängstlichen kleinen Wicht halten. Ihnen fehlt der Respekt.«
Pater Leonardo erhob sich. »Ich entschuldige mich für meine Impertinenz, Eure Eminenz.«
»Sie werden reichlich Gelegenheit haben, sich für Ihre Sorglosigkeit rehabilitieren zu können. Sie fliegen umgehend nach Jerusalem und treffen sich dort mit Pater Phillipo. Er erwartet Sie im Franziskanerkloster in Jerusalem. Er wird Ihnen einen bedeutenden Herrn vorstellen, der großen Einfluss innerhalb der amtierenden Regierung besitzt. Ich will, dass diese Grabungsarbeiten vorerst eingestellt und von unserem Kirchenamt vollendet werden. Haben Sie mich verstanden?«
Pater Leonardo beugte unterwürfig seinen Oberkörper.
»Ich habe Ihren Wunsch verstanden, Eure Eminenz. Voll und ganz.«
»Dann machen Sie sich an Ihre Arbeit«, erwiderte der Kardinalpräfekt und streckte seinem Sekretär die Hand entgegen.
Pater Leonardo ergriff die Hand und küsste den Ring, ehe er das Zimmer verließ. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, atmete er erst einmal durch. Er hatte Kardinal Borghese tatsächlich unterschätzt. Aber auch ein Gewitter verzog sich früher oder später, und dann folgte meist wieder Sonnenschein.
München, Bayrisches Landeskriminalamt, Dezernat 63 …
Kriminaloberrat Stefan Bukowski hasste es, wenn er in dem engen Fahrstuhl eingeschlossen war, in dem es immer ein wenig nach WC-Steinen duftete; er hasste es, wenn er nicht genau wusste, was ihn bei einer Besprechung erwartete; er hasste es,
Weitere Kostenlose Bücher