Die Bruderschaft Christi
wenn er sich in das oberste Stockwerk, die Chefetage, begeben musste. Und seine Chefin, die Präsidentin des Landeskriminalamtes, konnte er ebenfalls nicht leiden. Diese Frau, die seit knapp zwei Jahren den Chefsessel im Amt innehatte, war nichts anderes als eine politische Galionsfigur. Eine Marionette, die an den Fäden der politischen Machthaber des Innenministeriums hing und von den schwarzen Wölfen der großen Volkspartei mit Ideen und Vorgaben gesäugt wurde. Aber von Polizeiarbeit hatte sie keine Ahnung.
Eigentlich sehnte Stefan Bukowski den Zeitpunkt seiner Pensionierung herbei, denn alle Veränderungen, die es in den letzten Jahrzehnten bei der Polizei gegeben hatte, waren weit davon entfernt, die Lage zu verbessern. Ganz im Gegenteil. Von Jahr zu Jahr, von Konzept zu Konzept, von Reform zu Reform, war alles bisher nur schlechter geworden.
Ruckartig stoppte der Fahrstuhl im vierten Stockwerk. Unter dem Dach gab es nur noch Aktenräume und ein paar Labors für die Techniker. Die Tür glitt unter Ächzen auf, und Bukowski stürmte hinaus in den Flur. Das Büro der Präsidentin, Frau Doktor Annemarie Hagedorn-Seifert, lag am Ende des langen Ganges. Die Zugangstür war wie immer verschlossen. Der einzige Weg ins Zentrum der Macht führte durch das Büro der Vorzimmerdame. Bukowski nannte diesen Teil der Etage manchmal scherzhaft die Werkzeugkammer, denn wo konnte man eine Beißzange und eine Schreckschraube schon so dicht beieinander finden.
Er klopfte. Ein barsches Moment ließ ihn innehalten.
Bukowski verzog das Gesicht. Er atmete tief ein und ließ sich auf einem der Stühle nieder, die gegenüber der Tür auf dem Flur platziert worden waren, wie im Wartezimmer eines Zahnarztes.
Zehn Minuten verstrichen, bis die Vorzimmerdame, eine blasse Mittvierzigerin mit einer Frisur, die Bukowski an einen blondierten Wischmopp erinnerte, ihren Kopf durch die Tür streckte.
»Der Herr Bukowski«, näselte die Frau. »Die Präsidentin wartet bereits.«
»So wie ich«, seufzte Bukowski und erhob sich.
Die Vorzimmerdame schleuste Bukowski durch ihr Reich und geleitete ihn in das geräumige Büro von Frau Hagedorn-Seifert. Die Präsidentin saß hinter ihrem Schreibtisch und blickte nur kurz auf, als er das Büro betrat. Bukowski wusste, dass sich der Name Seifert auf den verblichenen Kammergerichtspräsidenten und Ehemann bezog und sie ihn noch immer wie ein Prädikat hinter ihrem Geburtsnamen führte. Es war damals wohl mehr eine Akademikervereinigung zwischen den beiden als eine Ehe gewesen, denn die gewichtige Frau Hagedorn weilte damals die meiste Zeit in Berlin, als sie noch als Staatssekretärin im Bayerischen Staatsministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten arbeitete.
Bukowski musterte die gleichaltrige, kleine und dickliche Frau mit den dunkel gelockten Haaren und wusste sofort wieder, warum er keinen Wert auf ein Eheleben gelegt hatte und alleine geblieben war.
»Setzen Sie sich, Herr Kriminaloberrat«, forderte die Präsidentin mit ihrer blechernen und unpersönlichen Stimme.
Bukowski ließ sich in dem gepolsterten Stuhl vor dem schweren Mahagonischreibtisch nieder und wartete geduldig, bis die Frau ihr Aktenstudium beendet hatte.
Sie blickte auf. »Es liegt eine Beschwerde gegen Sie vor, Herr Kriminaloberrat, und ich muss sagen, ich halte Ihre Vorgehensweise ebenso für befremdlich wie der Dienststellenleiter der Polizeiinspektion in Weilheim.«
»Sagen Sie doch einfach Herr Bukowski zu mir«, antwortete Bukowski, »ich lege keinen Wert auf Titel.«
Die Miene der Präsidentin wirkte abweisend. »Wie Sie wollen, Herr Bukowski, es gibt jedoch durchaus Titel, auf die man Wert legen sollte. Also, wie soll ich mir Ihr despektierliches und unkollegiales Verhalten erklären?«
Bukowski zuckte mit der Schulter. »Vielleicht sagen Sie mir erst einmal, um was es genau geht. Dann werde ich mein Verhalten schon erklären.«
Frau Hagedorn-Seifert nahm ein Schriftstück aus dem Aktenordner und reichte es Bukowski. »Sie haben versucht, die Exhumierung eines verstorbenen Priesters anzuregen, und sich dabei auf schwere Ermittlungsfehler der zuständigen Kollegen aus Weilheim bezogen. Brauchen wir nicht strafprozessuale Gründe und Verdachtsmomente, um einen solchen Schritt anzuregen?«
»Ich arbeite an zwei Mordfällen im Kirchenmilieu und es liegen ausreichende Verdachtsmomente vor, dass der Priester, um den es sich hier handelt, ebenfalls ermordet worden ist. Die Kollegen aus Weilheim und der
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