Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
ihr?«
»Sie wohnt irgendwo an der Airline.« Die Airline war die hiesige Bezeichnung für die Route 9, die von Brewer nach Calais führte. »Ist zum dritten Mal verheiratet. Hat mit einem Musiker zusammengelebt.«
»Wirklich? So gut habe ich sie nicht gekannt.«
»Gut für Sie. Sie hätten auch mit ihr zusammenleben können.«
»Da fällt mir was ein. Sie war ein gutaussehendes Mädchen.«
»Sieht auch als Frau nicht so schlecht aus, nehme ich an«, sagte Bennett. »Ein bisschen dicker um den Hintern vielleicht, aber man kann immer noch sehen, wie sie mal war. Man sieht’s auch der Tochter an.«
»Wie heißt die Tochter?«
»Karen. Karen Emory. Das einzige Kind aus der ersten Ehe ihrer Mutter, wurde geboren, nachdem der Vater das Weite gesucht hatte, deshalb trägt sie den Namen ihrer Mutter. Das einzige Kind aus ihren sämtlichen Ehen, wenn ich’s recht bedenke. Sie arbeitet jetzt seit über einem Jahr bei mir. Ein tüchtiges Mädchen, wie schon gesagt. Sie hat ihre Macken, aber ich glaube, sie kommt damit klar, solange sie dabei die Hilfe bekommt, die sie braucht, und sie ist so vernünftig, dass sie darum bittet.«
Bennett Patchett war ein ungewöhnlicher Mann. Er und seine Frau Hazel, die vor zwei Jahren gestorben war, hatten die Menschen, die für sie arbeiteten, nicht einfach als Personal betrachtet, sondern als Angehörige einer Art Großfamilie. Sie mochten vor allem die Frauen, die durch die Downs kamen und von denen einige viele Jahre blieben, andere nur ein paar Monate. Bennett und Hazel hatten ein besonderes Gespür für Mädchen, die in Schwierigkeiten steckten oder ein bisschen Halt im Leben brauchten. Sie horchten sie weder aus, noch hielten sie ihnen Predigten, aber sie hörten zu, wenn sie sich an sie wandten, und halfen ihnen, wo sie nur konnten. Die Patchetts besaßen zwei Häuser in Saco und Scarborough, die sie zu billigen Unterkünften für ihr Personal und die Mitarbeiter anderer alteingesessener Geschäfte umgebaut hatten, die von Leuten geleitet wurden, die eine ähnliche Einstellung hatten wie sie. In den Apartments herrschte Geschlechtertrennung, so dass Männer und Frauen unter ihresgleichen bleiben mussten. Ab und zu gab es zwangsläufig Begegnungen, aber das kam nicht so oft vor, wie man meinen könnte. Meistens waren diejenigen, die das Angebot annahmen, zufrieden mit der Unterkunft, die ihnen zur Verfügung gestellt wurde. Der Großteil zog irgendwann weiter, einige bekamen ihr Leben wieder in den Griff, andere nicht, aber solange sie bei den Patchetts arbeiteten, wurde sowohl von dem Paar als auch von den anderen Mitarbeitern auf sie aufgepasst. Sally Cleavers Tod war ein schwerer Schlag gewesen, aber letztlich waren sie dadurch nur umso fürsorglicher mit ihren Schutzbefohlenen umgegangen. Zwar hatte Bennett der Tod seiner Frau hart getroffen, doch durch den Verlust hatte sich seine Haltung gegenüber dem Personal nicht im Geringsten verändert. Sie waren jetzt alles, was er hatte, und vermutlich sah er in jeder Frau Sally Cleaver und mittlerweile auch Damien in den jungen Männern.
»Karen hat sich mit einem Mann eingelassen, von dem ich nicht viel halte«, sagte Bennett. »Sie hat in einem der Personalhäuser an der Gorham Road gewohnt. Sie und Damien sind gut miteinander ausgekommen. Ich dachte, er verknallt sich vielleicht in sie, aber sie hatte nur Augen für seinen Freund, einen Kameraden aus dem Irak namens Joel Tobias. War mal Damiens Truppenführer. Seit Damiens Tod sind sie liiert, vielleicht waren sie das aber auch schon vorher. Ich habe gehört, dass Tobias wegen seiner Erlebnisse im Irak ein bisschen durcheinander ist. Freunde sind ihm weggestorben, und ich meine das wortwörtlich. Sie sind in seinen Armen verblutet. Er wacht nachts schwitzend und schreiend auf. Sie meint, dass sie ihm helfen kann.«
»Hat sie Ihnen das erzählt?«
»Nein. Ich hab’s von einer anderen Bedienung gehört. So was würde mir Karen nicht erzählen. Ich nehme an, sie redet lieber mit anderen Frauen über solche Sachen, das ist alles, und sie weiß, dass ich es nicht gut finde, dass sie so schnell, nachdem sie sich kennengelernt hatten, mit Tobias zusammengezogen ist. Vielleicht bin ich da ein wenig altmodisch, aber ich hatte das Gefühl, dass sie noch ein bisschen hätte warten sollen. Hab ich ihr auch gesagt. Sie waren da erst ein paar Wochen zusammen, und na ja, ich habe sie gefragt, ob sie nicht das Gefühl hat, dass sie die Sache ein bisschen überstürzt, aber sie ist ein
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