Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
könne er Gedanken lesen, und das bisschen Wohlwollen, das er gehabt hatte, schien zu verschwinden.
»Bitte, Mr Webber, setzen Sie sich. Außerdem möchte ich, dass Sie die Waffe aus Ihrem Hosenbund entfernen. Sie kann ja wohl kaum bequem sein, und ich bin nicht bewaffnet. Ich bin hierhergekommen, um zu reden.«
Leicht betreten zog Webber die Waffe heraus, legte sie auf den Tisch und nahm gegenüber von Herod Platz. Der Revolver war immer noch in der Nähe, falls er ihn brauchen sollte. Er ergriff das Weinglas sicherheitshalber mit der linken Hand.
»Na dann, auf das Geschäft«, sagte Herod. »Wie ich Ihnen schon sagte, vertrete ich die Interessen der Gutlieb-Stiftung. Bis vor kurzem hatten wir das Gefühl, dass wir eine Beziehung zu Ihnen unterhalten, die zu unser beiderseitigem Nutzen ist: Sie haben für uns Material beschafft, und wir haben klaglos und ohne jede Verzögerung bezahlt. Hin und wieder haben wir Sie aufgefordert, in unserem Auftrag tätig zu werden und bei einer Auktion etwas zu erstehen, wenn wir lieber im Hintergrund bleiben wollten. Und ich glaube, Sie wurden in diesen Fällen für Ihre Mühe angemessen entschädigt. Genau genommen durften Sie diese Stücke mit unserem Geld erwerben und sie mit einem Aufschlag an uns weiterverkaufen, der erheblich höher war als die übliche Agentenprovision. Habe ich recht? Ich übertreibe doch nicht, wenn ich unsere Übereinkunft so darstelle?«
Webber schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.
»Vor ein paar Monaten baten wir Sie dann, ein Grimoire für uns zu erstehen, siebzehntes Jahrhundert, französisch. Der Beschreibung zufolge war es in Kalbsleder gebunden, aber wir wissen, dass dies lediglich ein Kniff war, um unerwünschtes Aufsehen zu vermeiden. Menschliche Haut und Kalbsleder haben, wie wir beide wissen, eine sehr unterschiedliche Beschaffenheit. Es war also, gelinde gesagt, ein einzigartiges Stück. Wir haben Ihnen alle erforderlichen Informationen für einen Kauf im Voraus geliefert. Wir wollten nicht, dass das Buch zur Auktion gelangt, nicht einmal bei einer so diskreten und speziellen, wie es diese zu sein versprach. Aber zum ersten Mal konnten Sie die Ware nicht liefern. Stattdessen kam offenbar ein anderer Käufer vor Ihnen zum Zuge. Sie gaben uns das Geld zurück und teilten uns mit, dass Sie es beim nächsten Mal besser machen würden. Doch leider gibt es bei etwas so Einzigartigem kein ›nächstes Mal‹.«
Herod lächelte erneut, diesmal bedauernd, wie ein enttäuschter Lehrer angesichts eines Schülers, der eine einfache Aufgabe nicht begriffen hat. Die Atmosphäre in der Küche hatte sich spürbar verändert, seit Herod eingetreten war. Es lag nicht nur an dem zunehmenden Unbehagen, das Webber angesichts der Richtung befiel, die dieses Gespräch nahm. Nein, es kam ihm so vor, als werde die Schwerkraft allmählich stärker, die Luft stickiger. Als er sein Glas zum Mund führen wollte, überraschte ihn dessen Gewicht. Webber hatte das Gefühl, wenn er aufstehen und versuchen würde zu gehen, wäre es, als watete er durch Matsch oder Schlick. Herod war es, der das Wesen des Raumes verwandelte, der Elemente aus seinem Inneren freisetzte, die die Zusammensetzung eines jeden Atoms veränderten. Eine geballte Kraft ging von dem todkranken Mann aus, denn todkrank war er mit Sicherheit, als ob er nicht aus Fleisch und Blut bestünde, sondern aus einem unbekannten Material, einer Verbindung aus verseuchten Substanzen, einer außerirdischen Masse.
Webber schaffte es, das Glas an die Lippen zu führen. Wein tropfte ihm aufs Kinn, als wollte er es Herod gleichtun. Er wischte ihn mit der Hand weg.
»Ich konnte es nicht verhindern«, sagte Webber. »Bei esoterischen und seltenen Stücken wird es immer Konkurrenten geben. Es ist schwer, deren Existenz geheim zu halten.«
»Doch die Existenz des Grimoire von La Rochelle war ein Geheimnis«, sagte Herod. »Die Stiftung hat viel Zeit und Mühe aufgewandt, um interessante Stücke ausfindig zu machen, die möglicherweise in Vergessenheit geraten oder verschollen sind, und sie ist bei ihren Erkundigungen sehr vorsichtig. Das Grimoire wurde nach jahrelangen Nachforschungen aufgespürt. Es war irrtümlicherweise dem achtzehnten Jahrhundert zugeordnet worden, und im Zuge mühseliger und mehrfacher Überprüfungen unsererseits bestätigte sich dieser Fehler. Nur die Stiftung wusste um die Bedeutung des Grimoire. Selbst sein Besitzer hielt es lediglich für eine Kuriosität, eine wertvolle möglicherweise,
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