Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
werde oft gefragt, ob ich Kinder mag. Ich fasse diese Frage wohlwollend auf.«
Webber wusste nicht genau, wie er reagieren sollte, deshalb schob er die Tür einfach weiter auf, um den Fremden einzulassen, und ließ die rechte Hand beiläufig an die Taille sinken, so dass die Waffe in Reichweite war. Als Herod ins Haus trat, nickte er höflich und warf einen Blick auf Webbers Taille, und Webber war davon überzeugt, dass er um die Waffe wusste und sich deswegen nicht die geringsten Sorgen machte. Herod blickte zur offenen Küchentür, worauf Webber ihm bedeutete, dass er hineingehen sollte. Er sah, dass Herod langsam ging, aber nicht wegen seiner Krankheit. Herod war einfach ein Mann, der sich bedächtig bewegte. Sobald er in der Küche war, legte er den Hut auf den Tisch, blickte sich um und lächelte beifällig. Nur die Musik schien ihn zu stören, denn er runzelte kurz die Stirn und starrte auf die Stereoanlage.
»Das klingt wie … nein, es ist Faurés ›Pavane‹«, sagte er. »Ich kann allerdings nicht sagen, dass ich das, was man ihr antut, gut finde.«
Webber zuckte kaum wahrnehmbar mit der Schulter. »Das ist Bill Evans«, sagte er. Wer mochte Bill Evans nicht?
Herod zog eine leicht abfällige Schnute. »Ich habe mir noch nie viel aus solchen Experimenten gemacht«, sagte er. »Ich fürchte, ich bin diesbezüglich ein Purist.«
»Jedem das Seine, nehme ich an«, sagte Webber.
»In der Tat, in der Tat. Die Welt wäre langweilig, wenn alle den gleichen Geschmack hätten. Dennoch kann man sich nur schwerlich des Eindrucks erwehren, dass man manche Sachen lieber ablehnen als sie genießen sollte. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich setze?«
»Bitte sehr«, sagte Webber nur eine Spur unwirsch.
Herod setzte sich und bemerkte den Wein und das zerbrochene Glas am Boden. »Ich hoffe doch, dass ich nicht schuld daran war«, stellte er fest.
»Eine Achtlosigkeit meinerseits. Ich werde es später wegräumen.« Webber wollte nicht Besen und Kehrschaufel in den Händen haben, solange dieser Mann in seiner Küche war.
»Offenbar habe ich Sie bei der Zubereitung Ihrer Mahlzeit gestört. Bitte machen Sie weiter. Ich möchte Sie nicht davon abhalten.«
»Ist schon gut.« Außerdem beschloss Webber, dass er Herod unter keinen Umständen den Rücken zukehren wollte. »Ich mache weiter, wenn Sie gegangen sind.«
Herod dachte einen Moment lang darüber nach, als müsse er sich eine Bemerkung verkneifen, dann ließ er die Sache auf sich beruhen, wie eine Katze, die zu dem Schluss kommt, dass sie den Schmetterling nicht jagen und zermalmen will. Stattdessen musterte er die Flasche mit dem weißen Burgunder, die auf dem Tisch stand, und drehte sie behutsam mit einem Finger, damit er das Etikett lesen konnte. »Oh, sehr gut«, sagte er. Er wandte sich an Webber. »Würden Sie mir vielleicht ein Glas eingießen?«
Er wartete geduldig, als Webber, der es nicht gewohnt war, dass Gäste so etwas von ihm verlangten, zwei Gläser aus dem Küchenschrank holte, erst Herod einen Schluck eingoss, der unter diesen Umständen mehr als großzügig war, und dann sich. Herod hob das Glas und schnupperte daran. Dann zog er ein Taschentuch aus seiner Hosentasche, faltete es ordentlich, hielt es an sein Kinn und nahm einen Schluck mit dem Mundwinkel, so dass die Wunde an der Lippe geschont wurde. Ein bisschen Wein rann herab und tränkte das Taschentuch.
»Wunderbar, vielen Dank«, sagte er. Er wedelte wie um Entschuldigung heischend mit dem Taschentuch. »Man gewöhnt sich daran, dass man etwas von seiner Würde opfern muss, um so weiterzuleben, wie man es möchte.« Wieder lächelte er. »Wie Sie vielleicht schon vermutet haben, bin ich kein gesunder Mann.«
»Das tut mir leid«, sagte Webber. Er bemühte sich darum, mitfühlend zu klingen.
»Ich weiß das zu würdigen«, sagte Herod trocken. Er hob einen Finger und deutete auf seine Oberlippe. »Mein Körper wird von Krebsgeschwüren zerfressen, aber das hier ist neu: Eine nekrotisierende Krankheit, die weder auf Penicillin noch auf Vancomycin anspricht. Bei der Ausschälung wurde nicht alles nekrotische Gewebe entfernt, so dass möglicherweise weitere Untersuchungen erforderlich sind. Seltsamerweise soll mein Namensvetter, der Kindermörder Herodes, an einer nekrotisierenden Fasziitis an Unterleib und Genitalien gelitten haben. Eine Strafe Gottes könnte man sagen.«
Bezieht er sich auf den König oder auf sich, fragte sich Webber, worauf sich Herods Miene veränderte, als
Weitere Kostenlose Bücher