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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Erstaunt zog Mary sie hervor. Sie waren alt, aber noch gut erhalten. Mary entrollte sie und merkte, wie ihr Herz schneller schlug.
    Die Pergamentseiten waren dicht beschrieben, in lateinischer Sprache und Schrift. Da Mary in Egton Lateinunterricht erhalten hatte, war sie in der Lage, die Zeilen zu übersetzen, auch wenn es im spärlichen Licht alles andere als einfach war.
    »Dies sind die Aufzeichnungen einer Gefangenen«, las sie flüsternd. »Möge derjenige sie finden, der ihrer würdig ist. Gezeichnet Gwynneth Ruthven, im Jahr des Herrn 1305.«
    Mary hielt den Atem an. Zum einen war sie bestürzt darüber, tatsächlich auf eine Hinterlassenschaft der jungen Frau gestoßen zu sein, von der die alte Dienerin ihr erzählt hatte und der sie in ihren Träumen begegnet war. Konnte es Zufall sein, dass Mary, die sich aus Not in diesen Turm geflüchtet hatte, ausgerechnet hier auf Gwynneths Aufzeichnungen stieß?
    Zum anderen empfand Mary unsagbare Genugtuung. Eleonore hatte ihre Bücher verbrennen lassen, um ihr jede Hoffnung zu rauben. Nun aber war Mary unversehens in den Besitz alter Aufzeichnungen gelangt, die ihren gefangenen Geist mit neuer Nahrung versorgten.
    Mit Tränen der Verwunderung in den Augen begann Mary of Egton die Aufzeichnungen Gwynneth Ruthvens zu lesen, die vor über fünfhundert Jahren in eben dieser Turmkammer niedergeschrieben worden waren …

15.
    E s war bereits spät, und die Mönche von Kelso hatten sich zur Nachtruhe begeben. Nur Abt Andrew war noch wach; in seinem Arbeitszimmer kniete er auf dem Boden und hatte die Hände gefaltet. Wie immer, wenn er nach Antworten suchte, die Menschen ihm nicht geben konnten, war er tief ins Gebet versunken.
    Bisweilen, wenn er über viele Stunden hinweg Antwort beim Herrn gesucht hatte, erreichte der Abt einen Zustand des tiefen inneren Friedens. Die Ruhe, die er dann verspürte, war eine Quelle der Kraft, des Glaubens und der Inspiration. In dieser Nacht jedoch konnte der Abt diesen Zustand nicht erreichen, so sehr er sich danach sehnte. Zu viel ging ihm im Kopf herum, das ihn davon abhielt, eins zu werden mit seinem Schöpfer.
    Zu viele Sorgen …
    Die Geschehnisse der letzten Tage und Wochen hatten deutlich gezeigt, dass die Wachsamkeit, die der Orden über Jahrhunderte hinweg hatte walten lassen, nicht unbegründet gewesen war. Die Gefahr von einst war nicht vergangen. Sie hatte die Zeit überdauert bis in die Gegenwart, und dieser Tage schien sie erneut zu wachsen.
    Wieder und wieder war der Abt die alten Schriften durchgegangen und hatte sich mit seinen Ordensbrüdern beraten. Es bestand kein Zweifel. Der Feind von einst hatte sich erneut erhoben. Die heidnischen Mächte setzten alles daran zurückzukehren, und wiederum bedienten sie sich der Bruderschaft.
    Der Sieg vor Jahrhunderten war unvollkommen gewesen, die Entscheidung lediglich vertagt worden. Diesmal jedoch musste sie fallen, und das Wissen, dass seine Mitbrüder und er diese Bürde zu tragen hatten, lastete schwer auf Abt Andrew. Dies war ihre Bestimmung, der Zweck ihres Daseins. Die Wahrung der Bibliothek und die Pflege der alten Schriften waren nur Tarnung – in Wahrheit war es stets um sehr viel mehr gegangen.
    Der Abt betete darum, dass seine Mitbrüder und er der Herausforderung gewachsen sein würden. »Vielleicht, o Herr«, fügte er seinem Gebet hinzu, »gefällt es dir in deiner Weisheit, uns schwachen Menschen Hilfe zu schicken und in den Kampf einzugreifen, auf dass er zu Gunsten des Lichts entschieden werde und die Finsternis nicht …«
    Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als ein helles Klirren die Stille zerriss.
    Der Abt blickte auf – und zu seiner Bestürzung sah er in Schwarz gehüllte Gestalten, die durch die Fensterscheibe brachen. Die Kapuzen ihrer Mäntel hatten sie tief in die Gesichter gezogen, die hinter Masken verborgen waren.
    »Allmächtiger!«, stieß der Abt hervor.
    Kalter Nachtwind fegte durch das Fenster herein, ließ die Kerzen flackern und tauchte die schrecklichen Besucher in unheimliches Licht.
    Keine der Gestalten sagte ein Wort. Dafür zogen sie blanken Stahl unter ihren Roben hervor – Säbel, deren Klingen im flackernden Kerzenlicht schimmerten und mit denen sie auf den wehrlosen Ordensmann eindringen wollten.
    »Zurück!«, forderte Abt Andrew mit Stentorstimme, sprang auf und hob abwehrend die Hand. »Boten eines versunkenen Zeitalters seid ihr, und ich befehle euch, zurückzukehren, woher ihr gekommen seid!«
    Die Vermummten

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