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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Beanspruchung stand.
    Schließlich, aus Erschöpfung oder Resignation, ließ Malcolm of Ruthven von der Tür ab, und seine wüsten Flüche verstummten. Mary wartete noch eine Weile, dann nahm sie zögernd die Hände von den Ohren.
    Sie wusste, dass er noch immer da war, und das nicht nur, weil sie ihn leise atmen hörte. Sie hatte das Gefühl, seine Anwesenheit fast körperlich zu spüren, auf der anderen Seite der Tür, nur eine Handbreit von ihr entfernt …
    »Du undankbares Ding«, sagte er mit gefährlich leiser Stimme. »Warum verweigerst du dich mir? Denkst du nicht, dass ich dich verdient habe?« Er lachte tückisch. »Glaubst du wirklich, du könntest mir entkommen? Du kannst dich nicht ewig hier oben verstecken, Mary of Egton, das weißt du genau. Es gibt kein Entkommen für dich, und wenn ich dich heute Nacht nicht besitzen kann, dann wird es eben ein anderes Mal sein. Mir entkommst du nicht. Je eher du das begreifst, desto eher wirst du dich mit mir arrangieren. Bis dahin ruhe sanft, schöne Mary.«
    Sie vernahm seine Schritte, wie er langsam und schwerfällig die Treppe hinunterstieg. Mary blieb zurück, allein und verzweifelt. Der Schock saß tief, sie zitterte am ganzen Körper. Noch schlimmer jedoch als ihre Erschöpfung und der überstandene Schrecken wog die Erkenntnis, dass Malcolm of Ruthven Recht hatte.
    Sie war eine Gefangene in seinem Reich. Heute Nacht mochte sie ihm entkommen sein, auf Dauer jedoch konnte sie sich nicht vor ihm verstecken. Und wenn sie erst verheiratet waren, bewahrte sie nichts mehr davor, auch im Bett sein Weib zu werden. Allein vor dem Gedanken graute ihr. Fort waren all die romantischen Wünsche und Vorstellungen, die sie einst gehabt hatte. Sie war verloren.
    Vielleicht war es das, was die alte Dienerin gemeint hatte, als sie von einer großen Gefahr gesprochen hatte und davon, dass Mary Burg Ruthven auf schnellstem Weg verlassen sollte.
    Die Beine an sich gezogen und die Arme darumgeschlungen wie ein Kind, saß sie im Halbdunkel. Tränen der Verzweiflung stiegen ihr in die Augen und rannen über ihre Wangen. Furcht, Sorge und Wut – sie spürte alles zugleich; Erleichterung darüber, Malcolm für dieses Mal entkommen zu sein, gepaart mit der schrecklichen Gewissheit, ihm nicht auf immer entrinnen zu können. Wenn sie erst verheiratet waren, gab es für sie keine Hoffnung mehr.
    Niemals …
    Als Mary schließlich aufblickte, vermochte sie nicht zu sagen, wie viel Zeit vergangen war. Der Mond stand noch immer hoch am Himmel, und das fahle Licht, das durch die trübe Fensterscheibe sickerte, tauchte die Turmkammer in mattes Licht.
    Der Raum war halbrund und niedrig. Der aus Natursteinen gemauerte Kniestock war nur drei Fuß hoch, darüber setzten die Balken des Dachstuhls an, die sich in der Mitte zur Turmspitze vereinigten. Möbel gab es keine, aber in der Mauer, dem schmalen Fenster genau gegenüber, entdeckte Mary etwas, das ihre Aufmerksamkeit erregte: In einen der Mauersteine waren Zeichen geritzt worden, Initialen in lateinischer Schrift.
    ›G.R.‹ stand dort zu lesen, und sei es auf ihre Träume zurückzuführen, auf den Besuch der alten Frau oder auf das Durcheinander an Gefühlen, das in ihrem Inneren herrschte – Mary war sicher, dass diese beiden Initialen Gwynneth Ruthven bedeuten mussten.
    Sie holte tief Luft, was ihr kaum gelang, ohne dass ihre Lungen sich verkrampften, und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Erleichtert darüber, etwas zu haben, worauf sie sich konzentrieren konnte, untersuchte sie den Stein. Wie sie feststellte, war er locker. Sie packte ihn mit beiden Händen und rüttelte daran. Sand rieselte aus den Fugen, und der Stein wurde so lose, dass sie ihn hervorziehen konnte. Dahinter befand sich ein Hohlraum im Mauerwerk, und im fahlen Licht, das durch das Fenster fiel, sah Mary, dass etwas darin verborgen war. Neugier überkam sie, und obwohl sie sich ein wenig ekelte, steckte sie ihre Hand in die dunkle Öffnung, bekam es zu fassen und zog es hervor.
    Eingehend betrachtete sie ihren Fund im blassen Mondlicht. Es war ein etwa ellenlanger lederner Köcher, dessen Nähte und Verschlusskappe mit Wachs versiegelt waren, um den Inhalt gegen Feuchtigkeit zu schützen. Wie lange mochte er hier wohl schon liegen?
    Mary betrachtete den Behälter von allen Seiten, dann siegte ihre Neugier, und sie beschloss, einen Blick hineinzuwerfen. Sie brach das Wachssiegel und öffnete den Köcher. Im Innern befanden sich mehrere Rollen aus Pergament.

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