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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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mehr die Kraft, ihn zu heben. Mehrere Messerstiche hatten seinen Brustkorb durchbohrt, und selbst Quentin, der von Medizin keine Ahnung hatte, war klar, dass es für den Professor keine Rettung mehr gab.
    »Nein, Professor«, flehte Sir Walter und fiel vor seinem alten Mentor auf die Knie. Dass er sich selbst dabei mit Blut besudelte, war ihm gleichgültig. »Bitte nicht …«
    Gainswick blinzelte und wandte seinen Blick, was ihn unendliche Mühe zu kosten schien. Die Andeutung eines Lächelns hellte seine Züge auf, als er Sir Walter erkannte.
    »Walter, mein Junge«, keuchte er, und ein dünner Blutfaden rann aus seinem Mundwinkel. »Sie kommen leider zu spät …«
    »Wer hat das getan?«, hauchte Sir Walter fassungslos. »Wer hat Ihnen das angetan, Professor?«
    »Ist geschehen … machen Sie sich keine Vorwürfe.«
    »Wer?«, fragte Sir Walter noch einmal, als Quentin ihm auf die Schulter tippte. An der Wand des Arbeitszimmers hatte Sir Walters Neffe etwas entdeckt, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.
    Es war eine Spur, die die Täter hinterlassen hatten. Mehr noch, es war eine Signatur, ein Erkennungszeichen. Als gälte es, die Urheberschaft auf ein Kunstwerk anzumelden.
    An der Wand prangte das Zeichen des Runenschwerts, mit Miltiades Gainswicks Blut geschrieben.
    »Nein«, schnappte Sir Walter, und Tränen der Wut, der Trauer und der Fassungslosigkeit stiegen ihm in die Augen. »Das darf nicht sein!«
    »Seien Sie … nicht traurig«, presste Gainswick mit versiegender Kraft hervor. »Alle Wege … müssen irgendwann enden.«
    »Verzeihen Sie mir, Professor«, flüsterte Sir Walter wieder und wieder. »Verzeihen Sie mir.«
    Quentin, der reglos dabeistand, war nicht weniger betroffen als sein Onkel. Auch er fühlte sich verantwortlich für das, was geschehen war. Es war offensichtlich, wer diese grausame Bluttat begangen hatte. Und beinahe noch offensichtlicher war, wer die Täter zu Professor Gainswick geführt hatte.
    »Fratzen«, drang es kaum noch hörbar aus Professor Gainswicks Kehle, »schreckliche Fratzen … Ausgeburten der Finsternis … kennen keine Gnade.«
    »Ich weiß«, sagte Sir Walter hilflos.
    Gainswick riss die Augen auf, und in einem letzten, verzweifelten Aufbäumen von Lebenskraft schoss seine blutige Hand vor, packte seinen ehemaligen Schüler am Kragen des Rocks und zog ihn nahe zu sich heran.
    »Sie bekämpfen«, hauchte er mit ersterbender Stimme. »Findet Spuren …«
    »Wo, Professor?«, fragte Sir Walter nur.
    Die beiden letzten Worte, die Miltiades Gainswick auf dieser Welt sprach, waren rätselhaft. Das erste lautete ›Abbotsford‹, das zweite ›Bruce‹.
    Dann fiel der Kopf des Gelehrten zur Seite. Noch einmal hob und dehnte sich Gainswicks Brustkorb, dann hörte sein Herz zu schlagen auf.
    »Nein«, entfuhr es Quentin entsetzt, während sich gleichzeitig ohnmächtige Wut in ihm ballte. »Diese blutrünstigen Mörder! Diese Bestien in Menschengestalt! Professor Gainswick hat ihnen nichts getan. Ich werde …«
    Er unterbrach sich, als aus dem ersten Stock plötzlich ein lautes Knarren zu hören war.
    »Was war das?«, fragte er.
    »Da oben ist jemand«, stellte Sir Walter fest, dessen Gesicht zu einer eisigen Maske gefroren war.
    »Vielleicht ein Diener?«
    »Wenn ich mich recht entsinne, hatte der Professor nur den einen.«
    Quentin und sein Onkel wechselten einen bedeutungsvollen Blick. Beiden war klar, was das bedeuten mochte: dass sich Professor Gainswicks Mörder noch im Haus aufhielt. Möglicherweise hatten sie ihn bei seinem blutigen Handwerk überrascht, und deshalb hatten sie den Professor noch lebend vorgefunden.
    »Er wird dafür büßen«, verkündete Quentin entschlossen und stürmte zur Tür des Arbeitszimmers hinaus.
    »Junge, nein!«, rief Sir Walter ihm hinterher, aber Quentin war nicht mehr aufzuhalten.
    Alles, was sich innerhalb der letzten Tage und Wochen an Gefühlen in ihm aufgestaut hatte, brach sich jetzt Bahn. Seine Trauer über Jonathans Tod und die Ängste, die er beim Brand der Bibliothek ausgestanden hatte, die Zuneigung zu Mary of Egton und die Furcht vor der unheimlichen Bruderschaft und übernatürlichen Dingen sammelten sich wie Schießpulver in einem Fass, und Professor Gainswicks Tod war das Feuer an der Lunte.
    Mit geballten Fäusten stürmte Quentin die Treppe hinauf, wild entschlossen, den feigen Mörder zu fassen und zur Strecke zu bringen. Über die Gefahren dachte er nicht nach. Unter dem Schock des schrecklichen

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