Die Bruderschaft der Runen
waren.
»Auch das wäre möglich. Aber anstatt uns erneut der trockenen Theorie zuzuwenden, würde ich vorschlagen, dass wir an Ort und Stelle recherchieren.«
»Du meinst in Dunfermline?«
»Dorthin führt die Spur, mein Junge, sowohl die des Runenzeichens als auch jene der Mörder. Die ganze Zeit haben wir nach einer plausiblen Verbindung zwischen beiden gesucht, und es spricht viel dafür, dass diese Verbindung das Königsschwert ist. Das war es wohl, was der Professor herausgefunden hatte, kurz bevor er starb.«
»Aber mit seinem letzten Atemzug erwähnte er nicht die Abtei, sondern Abbotsford«, gab Quentin zu bedenken.
»Abbotsford und König Bruce.« Sir Walter nickte. »Ich habe es nicht vergessen. Aber ich erinnere mich auch, dass ich dem Professor von der Täfelung erzählt habe, die sich in der Eingangshalle meines Hauses befindet. Auf ihr haben wir die Schwertrune ebenfalls entdeckt – und die Täfelung stammt aus der Abtei von Dunfermline. Hier schließt sich der Kreis.«
»Aber sagtest du nicht, die Rune auf der Täfelung sei das Zeichen eines Handwerkers?«
»Da habe ich mich wohl geirrt, mein Junge«, gestand Sir Walter mit matter Stimme. »Wie auch immer – das Rätsel um Professor Gainswicks Ermordung werden wir weder hier noch in Abbotsford lösen können, sondern nur dort, von wo das Runenzeichen zu stammen scheint.«
»In Dunfermline«, sagte Quentin – und im nächsten Moment waren sie nicht mehr allein.
Schritte waren auf dem Korridor zu hören, und gleich darauf stand ein Mann in der dunklen Uniform eines Constables auf der Schwelle. Bei ihm waren mehrere Diener der Stadtwache, die das Haus und den Hinterhof sichteten, während der Constable den Tatort selbst in Augenschein nahm.
Als Mitglied des Obersten Gerichtshofs war Sir Walter über jeden Zweifel erhaben, sodass der Constable darauf verzichtete, ihn oder Quentin zum Kreis der Verdächtigen zu zählen. Sie gaben lediglich zu Protokoll, was sie gesehen und erlebt hatten, und jetzt berichtete Quentin zu Sir Walters Bestürzung auch von seiner unheimlichen Begegnung auf dem dunklen Hinterhof. Beschreiben konnte er Professor Gainswicks Mörder freilich dennoch nicht, da der Mann zur Unkenntlichkeit maskiert gewesen war. Der Constable stellte dennoch viele Fragen und notierte alles, woran Quentin sich erinnerte. Daraufhin wurden er und sein Onkel entlassen und kehrten zurück nach Hause.
Unterwegs sprachen sie kaum ein Wort. Beide waren vollauf damit beschäftigt, die Ereignisse zu verarbeiten.
Nicht nur, dass Sir Walter einen guten Freund verloren hatte – dieser Freund war das nächste Opfer der Sektierer geworden, und diese Tatsache schien Sir Walter beinahe noch mehr zuzusetzen. Zwar konnte Quentin die bittere Entschlossenheit in den Zügen seines Onkels sehen, aber erstmals gesellte sich auch ein Hauch von Verzweiflung hinzu. Noch immer war es ihnen nicht gelungen, das Geheimnis des Runenzeichens zu lüften, und je länger sie dafür brauchten, desto mehr Menschen schienen dafür sterben zu müssen.
In der Hoffnung, der Mordlust der Sektierer zu entfliehen, waren sie Inspector Dellards Ratschlag gefolgt und nach Edinburgh gegangen. Nun jedoch hatten sie feststellen müssen, dass der lange Arm der Sektierer auch bis hierher reichte.
Die Ereignisse spitzten sich zu, und sowohl Quentin als auch sein Onkel hatten das Gefühl, dass die Zeit knapp wurde. In den letzten Wochen waren die Übergriffe der Gesetzlosen immer dreister, immer brutaler geworden. Sie schienen auf ein bestimmtes Ziel hinzuarbeiten, auf ein Ereignis, das in naher Zukunft stattfinden sollte. Aber worum mochte es sich dabei handeln? Wie fügten sich die einzelnen Teile des Rätsels zusammen? Gab es wirklich ein großes, düsteres Geheimnis, das all diese Vorgänge verband?
Bislang waren Quentin und sein Onkel bei ihren Ermittlungen stets auf Ablehnung gestoßen; egal, ob es bei Sheriff Slocombe gewesen war, bei Inspector Dellard, bei Abt Andrew oder bei Professor Gainswick – sie alle hatten ihnen mehr oder weniger offen abgeraten, die Sache weiter zu verfolgen. Ihre Beweggründe mochten unterschiedlicher Natur gewesen sein, aber alles in allem erschien es Quentin fast so, als wollte man sie um jeden Preis davon abhalten, nach den Hintergründen zu forschen. Täuschungsmanöver, halbherzige Hinweise und vage Andeutungen waren alles, worauf sie bislang gestoßen waren, während die Sektierer weiterhin ihr Unwesen trieben und ungestraft
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