Die Bruderschaft der Runen
schob sich davor und dämpfte seinen Schein, ließ ihn schmutzig rot erglühen.
Wie Blut, dachte Gwynneth schaudernd, während die Runenbrüder erneut ihren unheimlichen Gesang anstimmten, der immer lauter wurde, je mehr der Mond in Dunkelheit verschwand.
Rasende Angst ergriff von Gwynneth Besitz. Hatten Millencourt und seine Leute tatsächlich die Macht, den Mond verschwinden zu lassen? Konnten sie die Gestirne beeinflussen und die Welt tatsächlich neu ordnen?
»Es ist so weit, meine Brüder!«, rief der Druide plötzlich. »Die Stunde unserer Rache ist gekommen. Bringt mir die Maid!«
Erneut wurde Gwynneth von groben Händen gepackt und in die Höhe gerissen. Mit unwiderstehlicher Kraft schleppte man sie zum steinernen Tisch und legte sie bäuchlings darüber. Alles, was sie sehen konnte, war die bleiche Hand ihres Peinigers, die das Runenschwert hielt. Der Gesang der Sektierer wurde immer noch lauter, strebte seinem Höhepunkt entgegen. Gwynneth hörte die kalten, heidnischen Worte, und mit einem Mal hatte sie Todesangst, die ihr die Kehle zuschnürte und ihr Herz rasen ließ.
»Runen und Blut!«, rief Millencourt und hob das Schwert. »Es möge geschehen!«
»Nein!«, rief Gwynneth laut und wandte ihren Blick zu den Maskierten, die den Opfertisch umstanden. »Ich bitte euch, schont mein Leben! Duncan, wo bist du? Duncan, bitte hilf mir …!«
Aber es kam keine Antwort. »Runen und Blut!«, schrien die Sektierer jetzt ebenfalls, und als Gwynneth die nackte, unverhohlene Blutgier durch die Sehschlitze der Masken blitzen sah, wusste sie, dass es keine Rettung für sie gab.
Das also war das dunkle Ende, das Kala ihr prophezeit hatte. Das Runenweib hatte am Ende Recht behalten.
Millencourt reckte das Schwert hoch in die Luft und murmelte Beschwörungsformeln in der alten Sprache. Gleichzeitig begann Gwynn zu beten. Zu den guten, lichten Mächten, auf dass sie ihre Seele aufnahmen und sich ihrer erbarmten.
Sie schloss die Augen und merkte, wie ihre Furcht sich legte. Mit einem Mal fühlte sie sich fern und entrückt, als ob sie sich in einer anderen Zeit befände, an einem anderen Ort. Trost, wie Menschen ihn nicht zu spenden vermochten, erfüllte sie.
Dann stieß das Runenschwert herab.
Mary of Egton kam zu sich.
Heftig rang sie nach Luft und schlug die Augen auf.
Sie hatte wieder geträumt. Von Gwynneth Ruthven und den letzten Augenblicken ihres Lebens, davon, wie sie von den Verschwörern auf einem steinernen Opfertisch ermordet worden war.
Mary blinzelte und blickte sich orientierungslos um – nur um festzustellen, dass der Traum noch nicht zu Ende war. Jetzt war sie es selbst, die auf dem Opfertisch lag, umringt von maskierten Männern in dunklen Kutten. Und auch sie gewahrte den Blutdurst in ihren Augen.
Es hatte sich nichts geändert – nur dass es diesmal nicht Gwynneth Ruthven war, die sich in der Gewalt der Sektierer befand, sondern sie selbst. Und mit einem Mal kam Mary of Egton ein erschreckender Gedanke.
Alles, was sie um sich herum sah und fühlte, war erschreckend echt. Was, wenn es kein Albtraum war, den sie erlebte? Wenn es nicht die Fortsetzung eines Trugbilds war, sondern die Wirklichkeit …?
11.
D akeine Zeit zu verlieren war, brachen sie noch in der Nacht auf. Sir Walter weckte seinen Kutscher und ließ ihn die Pferde anschirren, und schon wenig später machte er sich gemeinsam mit Quentin und Abt Andrew auf den Weg. Die Mönche, hieß es, würden ihnen in einigem Abstand folgen, um sich zu vergewissern, dass sie keine unerwünschte Gesellschaft hatten.
Während der Fahrt in der Kutsche wurde kaum gesprochen. Sowohl Sir Walter als auch sein Neffe hatten immer noch an den Neuigkeiten zu kauen, die der Abt ihnen enthüllt hatte. Endlich klärte sich das Rätsel, fügten sich die einzelnen Teile des Mosaiks zu einem Bild zusammen. Allerdings war Quentin nicht gerade begeistert von diesem Gesamteindruck.
Was er gehört hatte von magischen Gegebenheiten, von alten Flüchen und finsteren Verschwörungen, hatte seine alte Furcht wieder aufflackern lassen. Wenn ein wackerer Kirchenmann wie Abt Andrew diese Dinge ernst nahm und ihnen solche Bedeutung beimaß, dann konnten es nicht nur Hirngespinste sein, sagte er sich. Allerdings war Quentin fest entschlossen, sich nicht von seiner Furcht beherrschen zu lassen. Er wollte seinem Onkel helfen, diese Sache zu einem guten Ende zu bringen. Zudem ging es um das Wohl Schottlands, vielleicht des ganzen Empires.
Gerade erst war das Land
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