Die Bruderschaft der Woelfe
gesprochen, als lausche sie voll des Erstaunens auf die reinen Klänge ihrer eigenen Stimme. Mit jeder Minute übertrugen die Annektoren in ihrem Palast zusätzliche Gaben auf sie. »Wahoni besaß vierzig Gaben der Stimmgewalt. Die müssen jetzt mir gehören«, sagte Saffira.
»Sie sang so wunderschön, ich werde es vermissen, auch wenn ich nun selbst sehr viel schöner singen kann.« Sie hob ihre Stimme, sang ein paar Verse in solch betörenden Klängen, daß die Musik um sie in der Luft zu schweben schien wie der Flaum an einem Baumwollstrauch. Bei ihrem Lied lief Borenson ein Schauder über den Rücken.
Plötzlich blickte sie ihn beunruhigt an. »Ihr solltet mich nicht mit offenem Mund anstarren«, beschwerte sie sich. »Ihr erweckt den Eindruck, als wolltet Ihr mich fressen. Um ehrlich zu sein, vielleicht solltet Ihr mich gar nicht anschauen. Ich werde jetzt ein Bad nehmen, und nackt dürft Ihr mich nicht sehen, das versteht Ihr doch?«
»Ich werde die Augen schließen«, versprach er. Ha’Pim versetzte ihm einen Tritt in die Beine, und der Ritter entfernte sich ein paar Meter. Dann lehnte er sich mit dem Rücken an einen warmen Fels.
Er lauschte auf das Knistern und Rascheln der Seidentücher, die sie ablegte, sog den süßen Duft ihres Körpers ein, als sie ihr Kleid abstreifte und ihr Jasminparfüm unversehens noch durchdringender wurde.
Er lauschte, wie sie zaghaft in den Teich stieg und angesichts des kalten Bergwassers einen überraschten Laut von sich gab, lauschte auf ihr Planschen und Plätschern, sah sie aber nicht an.
In wörtlicher Befolgung ihres Befehls kniff er die Augen fest zu und zwang sich zum Gehorsam, welchen Preis auch immer er dafür bezahlen mußte.
Doch während er versuchte, seine Aufmerksamkeit von
Saffiras Planschen abzulenken, stutzte er.
Sie hatte gesagt, Raj Ahten sei der größte Mann der Welt, und in jenem Augenblick waren ihm die Worte weise vorgekommen, vernünftig und wohlüberlegt.
Erst jetzt schlichen sich die ersten Zweifel ein.
Liebte Saffira Raj Ahten?
Und hielt sie ihn für gütig? Den Mann, der sich durch Erpressung eine Gabe der Sehkraft von ihrem eigenen Vater verschafft hatte, den Mann, der alle Könige der Nachbarreiche von ihrem Thron gestoßen hatte und jetzt danach trachtete, die Welt zu unterwerfen?
Nein, Borenson hatte die Gerissenheit und die Grausamkeit des Wolflords erlebt. Er hatte die Leichen von Gaborns Bruder, die Leichen seiner Schwestern und seiner Mutter gesehen. Als er Raj Ahtens Übereigner auf Burg Sylvarresta erschlagen hatte, war er gezwungen gewesen, Kindern das Leben zu nehmen, die Raj Ahten Gaben abgetreten hatten. Dieser Mann hatte sich ganz dem Bösen verschrieben.
Raj Ahten hatte Saffira noch als Kind zur Frau genommen, und obwohl sie mit Raj Ahtens Liebe prahlte, wollte Borenson ihn dafür sterben sehen.
Dennoch mußte er sich wundern. Saffira war als Kind,
überwältigt von seiner Anmut und Stimmgewalt, bereitwillig zu ihm gegangen. Sie liebte ihn. Sie liebte ihn so sehr, daß sie jetzt sogar versprach, ihn im Kampf gegen die Völker Rofehavans zu unterstützen.
Die Welt, die ihr Gemahl so mitleidlos zu unterwerfen trachtete, hatte sie nie gesehen, wurde Borenson nun bewußt.
Sie war hoffnungslos naiv. Ihre ganze Zeit hatte sie in ihrem Palast eingesperrt mit dem Warten auf Geschenke verbracht, die Raj Ahten ihr bringen würde, und sich vor den Unabhängigen Rittern gefürchtet. Im Alter von zwölf Jahren hatte man sie ihrer Familie entrissen, und obwohl man Borenson nicht gestattet hatte, die anderen Konkubinen zu sehen, so nahm er dennoch an, daß sie alle Mädchen wie Saffira waren – und ebenso naiv und töricht.
Und im gleichen Moment dämmerte ihm, wie hoffnungslos Gaborns Plan scheitern konnte: Saffira erbot sich, einen Frieden zwischen Indhopal und Rofehavan zu schmieden, doch aus ganz eigenen Motiven und nicht, weil der Erdkönig es wünschte.
Und wenn Raj Ahten nicht überzeugt werden konnte, diesen Krieg zu beenden, dann würde Saffira sich ihm anschließen und ihre Anmut einsetzen, die Armeen von Rofehavan niederzuwerfen.
Eine leise Stimme in Borensons Hinterkopf flüsterte ihm zu, er habe geholfen, ein Ungeheuer zu erschaffen, welches er nun gefälligst nach Möglichkeit wieder vernichten sollte.
Aber der Gedanke war ihm unerträglich. Sogar wenn er
seine Gaben noch besessen hätte, sogar wenn er geglaubt hätte, gegen Pashtuk, Ha’Pim und Mahket im Kampf bestehen zu können – er hielt sich nicht
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