Die Bruderschaft der Woelfe
tote braune daneben war Raj Ahten.
Er hielt sie in der Hand, bohrte mit seinem Pflanzstock ein Loch ins Erdreich und versuchte zu entscheiden, welchen Fötus er in den tiefen, fetten Humus fallen lassen sollte.
Als er, während er auf den Rat des Erdgeistes hoffte, das nächste Mal den Kopf hob, war die Sonne bereits untergegangen. Die Zeit des Pflanzens war verstrichen, und Gaborn konnte nichts mehr sehen.
Tastend bahnte er sich schwerfällig seinen Weg aus seinem flachen Grab. Klopfenden Herzens blieb er einen Augenblick im Schein der Sterne sitzen. Er suchte hektisch nach Binnesman, doch der Zauberer war nirgendwo im Garten.
Er hatte das Gefühl, der Erdgeist hatte ihn vor einem Versagen warnen wollen, nur: vor einem Versagen wobei?
Die Erde hatte ihm die Macht des Erwählens verliehen.
Gaborn hatte diese dankbar angenommen und sein Bestes gegeben. Doch Erwählte er zu unbedacht? Traf er keine gute Wahl?
Erst eine Woche zuvor hatte Gaborn in Binnesmans Garten die Aufgabe des Erwählens übernommen. Weil er sein Volk liebte, hatte die Erde ihm die Aufgabe übertragen, auszuwählen, welche ›Samen der Menschheit‹ gerettet werden sollen.
Doch jetzt zerbrach sich Gaborn über die Frage den Kopf, wen aus seinem Volk er in dem bevorstehenden Krieg erretten sollte.
Der Wille der Erde in dieser Angelegenheit kam Gaborn kalt und hartherzig vor, leidenschaftslos bis hin zur Grausamkeit: Erwähle. Mir ist es gleichgültig. Leben und Tod sind eins.
Erwähle ein paar, die du retten willst, und dann rette sie. So lautete sein Auftrag. Nicht mehr und nicht weniger.
Das hörte sich einfach an.
Und erschien doch unmöglich.
Von all dem abgesehen, wurde Gaborn klar, daß die Erde ihm jetzt ein Ultimatum gestellt hatte: Akzeptiere meinen Plan, oder ich entreiße dir die Macht, die Fähigkeiten, die ich dir verliehen habe. Forderst du mich heraus, ist die gesamte Menschheit verloren. Du kannst einige wenige Menschen retten, aber nicht alle.
Aber wie sollte er seine Wahl treffen?
Erwartete der Erdgeist von ihm, Säuglinge sterben zu lassen, nur weil sie nicht in der Lage waren, sich zu verteidigen? Oder die Alten und Gebrechlichen? Erwartete man von ihm, daß er einen guten Mann sterben ließ, weil ein schlechter Mann der bessere Krieger war?
Wie sollte er sich richtig entscheiden?
Ich habe mein Volk angelogen, erkannte Gaborn. Ich habe vielen Menschen erzählt, sie seien Erwählt und ich würde sie in den bevorstehenden finsteren Zeiten beschützen. Und ich will sie auch von ganzem Herzen retten.
Aber diese Macht habe ich nicht.
Die Erkenntnis erfüllte ihn mit Schrecken und kalter
Gewißheit.
Er konnte sie nicht alle retten, konnte sie nicht alle beschützen. Bildlich stellte er sich vor, wie er sich bei einem Handgemenge würde entscheiden müssen: Laß einen Mann sterben, damit drei andere überleben.
Aber wie konnte er guten Gewissens solche Entscheidungen fällen? Und auf welche Weise?
Gab es Umstände, unter denen er Iome sterben lassen
durfte? Wäre ihre Rettung tausend Menschenleben wert?
Wenn er für sie Menschenleben vergeudete, würde sie es ihm später danken? Oder würde sie ihn verurteilen?
Was hatte Binnesman gestern morgen gesagt? Erden
Geboren sei ›nicht an den Wunden aus der Schlacht, sondern an gebrochenem Herzen‹ gestorben.
Gaborn hielt das durchaus für möglich. Die Erde hatte ihn zum Erdkönig auserkoren, weil Gaborn ein Mann mit Gewissen war. Aber wie konnte er hoffen, mit seinem
Gewissen weiterzuleben, wenn er tat, was die Erde von ihm verlangte?
Er setzte sich und dachte über die Geschehnisse des
vergangenen Tages nach. Er hatte sich entschieden, König Orwynne zu Erwählen, doch der dicke alte Ritter hatte sich Gaborn widersetzt, war in die Wolke aus herumwirbelnder Dunkelheit hineingeritten und hatte versucht, den Glorreichen der Finsternis zu besiegen.
Kurz danach hatten Iome und Jureem fast ihr Leben
gelassen, weil sie auf Burg Sylvarresta geblieben waren und versucht hatten, all jene zu retten, die nicht hatten fliehen wollen, wie Gaborn es ihnen befohlen hatte.
Ich kann sie Erwählen, erkannte Gaborn, aber das bedeutet nicht, daß sie mich Erwählen. Ich kann versuchen, sie zu retten, aber das bedeutet nicht, daß sie sich selbst retten wollen.
Dann soll dies der erste Prüfstein für das Erwählen sein, entschied er. Ich werde diejenigen retten, die auf meine Stimme hören und somit danach trachten, sich selbst in Sicherheit zu bringen. Die anderen muß ich
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