Die Bruderschaft der Woelfe
lebendigste aller Atemzüge, den Preis wert.
Im Fallen blickte er nach Westen. Dort strich der Wind über die Felder und stürmte auf ihn zu.
Mit hundert Meilen in der Stunde, vielleicht auch
zweihundert, brauste er heran und pfiff über die Dächer der Stadt hinweg.
König Anders schloß die Augen ganz und bereitete sich auf sein Schicksal vor. Sein Magen drängte sich in den Brustkorb.
Zwei Meter über dem Boden erfaßte ihn die Böe. Sie umfuhr seinen Körper und hob ihn in die Höhe. Sie streichelte ihm durchs Haar und über die Haut.
Anders öffnete die Augen und grinste breit.
Er starrte in den Wirbelwind. Ein ausgewachsener Tornado nahm vor ihm Gestalt an. Doch bewegte sich dieser nicht von der Stelle und schlängelte sich auch nicht. Zudem brüllte er nicht in seinem Wüten, sondern atmete ruhig wie ein schlafender Säugling.
Still drehte er sich und wirbelte Staub von den Straßen auf.
Durch den Mahlstrom konnte Anders oben Sterne erkennen, als wären sie Augen. Der ungeheure Sturm hielt den König in Händen und hob ihn weit in die Höhe.
In den vergangenen Monaten hatte Anders von diesem
Erlebnis geträumt, hatte es gar herbeigesehnt. Darauf zu hoffen hatte er jedoch kaum gewagt.
Laut schrie er: »Wunderbar!« und er lachte aus purem
Vergnügen.
KAPITEL 8
Eine Kost, die den Hunger stillt
Averan grub sich aus dem flachen Grab nach oben. Die
Nacht lag schwer über dem Dorf. Ihr Bauch schmerzte
vor Hunger, doch dann ergriff ein weit unangenehmeres Gefühl von ihr Besitz.
Im Alter von drei Jahren, als der König beschloß, sie zum Himmelsgleiter zu machen, hatte man ihr eine Gabe der Muskelkraft, eine des Durchhaltevermögens und eine der Geisteskraft überlassen.
Stets hatte sie sich stark und unermüdlich gefühlt und konnte sich gut an alles erinnern. Jetzt fühlte sie sich schwach, sowohl im Körper als auch im Geist. Ihr Verstand war wie benebelt.
Ich bin eine Gewöhnliche, erkannte sie. Jemand hat heute meine Übereigner umgebracht.
Das muß entsetzlich gewesen sein. Averan war auf ihrem Weg zu den Höfen von Tide viele Male über den Blauen Turm hinweggeflogen. Die gewaltige Burg, die dort draußen im weiten Meer stand, war ihr stets so riesig, so unangreifbar vorgekommen. Sie vermochte sich nicht vorzustellen, daß jemand sie erstürmen konnte.
In ihrem Herzen wußte sie jedoch, daß jemand den Blauen Turm eingenommen hatte, und in der Dunkelheit kam sie sich einsam und verlassen vor, stärker als je zuvor in ihrem ganzen Leben, sogar noch stärker als zu dem Zeitpunkt, an dem sie Brand und all die anderen auf Burg Haberd hatte zurücklassen müssen.
Ich bin jetzt nur noch ein einfaches Mädchen, überlegte sie.
Ich bin eine Gewöhnliche, wie alle anderen Menschen auch.
Ich werde nie wieder einen Graak reiten.
Im Alter von neun Jahren war ihr Leben so gut wie zu Ende.
Ohne ihre Gaben glaubte sie, keine Zukunft mehr zu haben.
Am liebsten hätte sie sich in den Staub geworfen und
geheult, doch dann fiel ihr ein, was Brand immer sagte: Einen Graak zu reiten ist nicht einfach. Wenn du herunterfällst, mußt du als erstes nachsehen, ob du dir nichts gebrochen hast.
Selbst wenn, mußt du wieder aufsteigen und dich in Sicherheit bringen. Wenn du das nicht kannst, wirst du nie ein Himmelsgleiter werden.
Averan war Dutzende von Malen bei der Landung von ihrem Graak heruntergefallen. Und immer wieder aufgestanden.
Jetzt, da sie sich so verlassen fühlte, biß sie sich einfach auf die Lippe und sah sich um.
Das dunkle, verwaiste Dorf erschien ihr anders; die
Walnußbäume, welche die Straße säumten, waren gebeugt wie finstere alte Männer, und Averan fragte sich besorgt, was sich in ihren Schatten verbergen mochte. Die heimeligen Katen mit ihren Binsendächern und Tierhautfenstern hinterließen im Licht der Sterne einen unnahbaren Eindruck wie Gräber.
Averan erhob sich. Ein Geruch von kalter Feuchtigkeit lag in der Luft. Ein kräftiger Wind geißelte den Boden. Sie zog ihre Kleider an.
Die grüne Frau kletterte aus ihrem flachen Grab, kniff wegen des scharfen Windes die Augen zusammen und suchte sehnsuchtsvoll den Himmel ab. »Blut?« bettelte sie.
»Ich weiß nicht, wo du Blut finden kannst«, sagte Averan.
»Meins bekommst du jedenfalls nicht. Also, machen wir uns auf die Suche nach etwas zu essen.«
Sie reichte der grünen Frau ihren Bärenfellmantel, damit sie nicht nackt herumlaufen mußte.
Dann durchstöberte sie den Garten nach etwas Eßbarem.
Während sie sich
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