Die Bruderschaft des Feuers
spiegelten sich unterschiedliche Gefühle, doch vor allem Bestürzung. Mondino konnte sich vorstellen, dass es bei ihm nicht anders war.
»Wie kannst du da so sicher sein?«, fragte Visdomini. »Du hast sie doch nicht einmal berührt.«
» Ann’ho bisogn … Das brauche ich nicht.« Marias Stimme hatte an Festigkeit gewonnen. »Wir benutzen Talglichter, die hier ist aus Wachs wie die Kerzen in der Kirche.«
Diese Aussage konnte vieles bedeuten. Visdomini sprach die Schlussfolgerung aus, die trotz allem am wahrscheinlichsten war. »Vielleicht war es eine geweihte Kerze«, sagte er langsam. »Und das Wesen, das diese schändliche Tat begangen hat, hat sie in den Kamin geworfen, weil es ihren Anblick nicht ertragen konnte.«
Maria stieß einen Schrei aus und stürzte aus dem Zimmer, gefolgt von Eleonora, die vergeblich versuchte, sie zu beruhigen. Die drei Männer sahen einander schweigend an.
»Ich würde meinen, wir sind hier fertig«, sagte der Capitano del Popolo zum Podestà. »Jetzt muss nur noch entschieden werden, was mit der Leiche geschehen soll.«
Taverna Tolomei schien seine Selbstsicherheit zurückgewonnen zu haben. »Messer de’ Liuzzi, Ihr habt von zwei Bedingungen gesprochen, ehe Ihr den Leichnam dieses Mannes untersuchen wollt«, sagte er. »Darf ich erfahren, welche das sind?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Mondino. »Die erste lautet, dass ich vor Euch und den Richtern das genaue Resultat meiner Untersuchung wiedergeben werde, ohne es auf irgendeine Weise zu verfälschen, damit es zu einer vorgefassten Meinung passt.«
Der Podestà blickte finster. »Es handelt sich nicht um eine vorgefasste Meinung. Die geweihte Kerze spricht eine deutliche Sprache: Satan ist in diesem Raum gewesen.«
»Wenn Ihr das denkt, trefft Eure Entscheidung, ohne mich da mit hineinzuziehen. Ich kann nur eine körperliche Untersuchung der Überreste durchführen.«
»Die zweifellos Messer Visdominis These unterstützen wird.«
»Vielleicht, vielleicht aber auch nicht«, beharrte Mondino. »Das kann ich nicht im Voraus sagen.«
Taverna Tolomei warf ihm einen berechnenden Blick zu: »Und die zweite Bedingung?«
»Ich führe die Untersuchung in meinem Arbeitsraum durch, auf keinen Fall hier. Ich brauche meinen Seziertisch, meine Instrumente und absolute Ruhe. Außerdem wäre es für alle Beteiligten klüger, Azzone nicht noch mehr zu reizen, indem er mich bei seiner Rückkunft hier vorfindet, während ich mein Chirurgenmesser in den toten Körper seines Vaters stoße.«
»Die Staatsgewalt fürchtet sich nicht vor dem Zorn eines Bürgers«, erwiderte der Podestà. »Dennoch ist Eure Forderung vernünftig, betrachtet sie also als angenommen.«
Mondino wollte gerade darauf hinweisen, dass er auch eine offizielle Bestätigung seiner ersten Bedingung wünschte, doch der Capitano del Popolo kam ihm zuvor, indem er bestürzt ausrief: »Wie sollen wir denn die Leiche transportieren? Von Bertrando Lamberti ist nichts geblieben als ein wenig Asche und die Knochen, die fest mit dem Lehnstuhl verbunden sind. Wenn wir versuchen würden, sie abzulösen, würde der Körper zerfallen.«
Offensichtlich hatte der Podestà nicht an dieses Problem gedacht. Sein Gesicht sprach Bände, man sah ihm genau an, wie sehr er seine ursprüngliche Fehleinschätzung der Lage bereute, die ihn bewogen hatte, sich in dieses Chaos einzumischen.
Mondino und der Capitano warteten schweigend ab, dass er die ihm zukommende Verantwortung übernahm. Schließlich verkündete der Podestà in einem kriegerisch entschlossenen Ton, der so unecht klang wie eine falsche Münze: »Ruft die Häscher und unterrichtet Madonna Eleonora. Wir werden die Leiche mitsamt dem Stuhl wegbringen.«
Der Capitano del Popolo war müde, nein, er war zu Tode erschöpft. Üblicherweise schlief er nicht am Nachmittag, aber der Anblick von Bertrando Lambertis übel zugerichtetem Leichnam schien ihm alle Kraft entzogen zu haben.
Sobald er in dem Haus angekommen war, das er noch die wenigen Wochen bis zum Ende des Jahres und damit seiner Amtszeit sein Heim nennen konnte, hatte er sich in seine Privatgemächer zurückgezogen. Das Haus war ein strenges, schmuckloses Gebäude, das eine Einheit mit dem Palazzo des Podestà und dem neuen Gebäude der Stadtregierung bildete, welches im Volksmund König-Enzio-Palast genannt wurde, nach dem Sohn Friedrichs des Zweiten von Hohenstaufen, der dort über zwanzig Jahre wie in einem goldenen Käfig gelebt hatte.
Die Ereignisse
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