Die Bruderschaft des Feuers
überstürzten sich. Erst am vergangenen Abend hatte er während ihrer letzten geheimen Zusammenkunft im Mithraeum mit Bertrando gesprochen, und nichts hatte vorausahnen lassen, dass er auf so schreckliche Weise umkommen würde, die er bis jetzt nur vom Hörensagen gekannt und eigentlich eher ins Reich der Legenden verwiesen hatte.
War es möglich, dass Mithras tatsächlich den so bestrafte, der ihn beleidigte? Nicht einmal Christus war zu so etwas fähig. In seinem Leben als Soldat hatte Visdomini blutige Schändungen des Kreuzes miterlebt, Priesterbeleidigungen und auch Gotteslästerungen, und die meisten Täter erfreuten sich noch bester Gesundheit.
Genau diese Erkenntnis, dass der freie Wille, von dem die Priester immer redeten, vielleicht nur ein Mittel war, um die Ohnmacht desjenigen zu verschleiern, den sie den Allmächtigen nannten, hatte ihn in die Arme des Mannes getrieben, den er gelernt hatte, Pater zu nennen, obwohl er kaum etwas Väterliches an sich hatte.
Mit wenigen gezielten Bewegungen legte er seine Kleidung ab, bis er barfuß und in einem leinenen Unterhemd dastand. Er warf den Lederpanzer, das Gewand und die besohlten Beinlinge auf einen Schemel, schob die dunkelroten Vorhänge des Himmelbettes auseinander und setzte sich auf die wollene Matratze. Dann zog er die Füße nach, schloss die Vorhänge und wollte sich hinlegen.
In diesem Moment hörte er ein Geräusch. Schritte auf dem Holzfußboden, erst einer, dann noch einer. Sie klangen nicht verstohlen wie bei einem Dieb, sondern gelassen und entschlossen wie von jemandem, der sich zu Hause fühlt. Visdomini wollte nach den Vorhängen greifen, doch er hielt mitten in der Bewegung inne.
»Du brauchst mich nicht zu sehen, um zu wissen, wer ich bin«, sagte eine wohlbekannte Stimme leise.
»Ihr?«, erwiderte Visdomini vollkommen überrascht. »Aber wie …?«
»Wie ich hier hereingekommen bin?« Wie immer sprach der Pater flüsternd. »Auf dem einfachsten Weg, durch die Tür. Auch in diesem Haus gibt es treue Diener unseres Gottes, die bereit sind, widerspruchslos meinen Befehlen zu gehorchen.«
Der Capitano del Popolo fühlte sich verletzlich wie ein kleines Kind auf seiner winzigen, von den Vorhängen begrenzten Insel. Seine Hand schloss sich schnell um den scharfen Dolch, der immer unter seinem Kopfkissen lag, und diese Berührung gab ihm ein wenig von seiner Sicherheit zurück.
»Was wollt Ihr?«, fragte er respektvoll, doch mit fester Stimme. »Was auch immer es sei, es hätte bis morgen Zeit gehabt.«
»Nein«, erwiderte der Pater schlicht. »Das hätte es nicht.«
»Dann sprecht«, entgegnete Visdomini mit einer Spur von Groll in der Stimme.
Er stellte sich den anderen vor, wie er mitten im Raum stand, die graue Stoffkapuze übergezogen, die seinen ganzen Kopf bedeckte und nur zwei Löcher für die Augen frei ließ. Visdomini hatte sich schon oft gefragt, wer der Pater in Wirklichkeit war. Er hatte den Verdacht, dass es sich womöglich um eine im öffentlichen Leben der Stadt stehende Persönlichkeit handelte, sonst hätte der Mann nicht sein Antlitz verhüllen und seine Stimme verstellen müssen. Doch seine mittelgroße Gestalt und die haselnussbraunen Augen waren weitverbreitet, und der Pater ließ seine Anhänger niemals zu nah an sich heran.
»Bertrando Lamberti wollte uns verraten, aber Mithras’ Gerechtigkeit hat ihm nicht die Zeit dazu gelassen«, stieß der Pater flüsternd hervor. »Das Geheimnis ist in Sicherheit, jedenfalls für den Moment …«
»Wart Ihr … dabei?«, fragte Visdomini.
»Das braucht dich nicht zu interessieren«, tadelte ihn der Pater. »Der Zorn unseres Gottes hat ihn getötet, nicht ich.«
»Es ging die Rede von einem Ton, den man in der Nacht gehört hat. Ein Gesang, der wie ein Schrei klang.«
»Ich bin nicht hierhergekommen, um deine Neugier zu befriedigen«, unterbrach ihn der Pater, »sondern weil ich besorgt bin. Es ist nicht gut für uns, dass man die Leiche diesem Arzt übergeben hat.«
»Das konnte ich nicht verhindern«, rechtfertigte sich Visdomini.
»Ich weiß. Ich habe erfahren, wie sehr du dich bemüht hast, alle davon zu überzeugen, es sei Teufelswerk, damit niemand etwas von unserer Existenz ahnt. Das hast du gut gemacht. Aber jetzt besteht neue Gefahr.«
»Noch ein Verräter?«, fragte der Capitano del Popolo und fühlte bei seinen Worten einen Angstschauer, als könnte er selbst gemeint sein. Vielleicht war der Pater aus diesem Grund heimlich zu ihm gekommen? Lautlos zog
Weitere Kostenlose Bücher