Die Bruderschaft des Feuers
Aber es lag nicht nur Stolz darin, sondern auch mühsam zurückgehaltene Tränen. »Ich kann Masino nicht zu mir nehmen, weil ich kein eigenes Haus habe! Das, in dem ich lebe, gehört meiner Herrschaft, und wenn ich noch jemanden mitbringe, dessen Maul es zu stopfen gilt, schicken sie mich fort. So ist es nun mal, wenn man arm ist, aber Ihr könnt das nicht verstehen!«
Gerardo wollte sich gerade eine Antwort überlegen, als er das kantige Gesicht des Capitano del Popolo in der Menge näher kommen sah. Die beiden Häscher von eben blieben einen Schritt hinter ihm.
»Ich bin fertig«, sagte Visdomini, als er sie erreicht hatte, und nickte Clara zu, was eher wie eine Aufforderung zu verschwinden wirkte als wie ein Gruß. »Jetzt können wir gehen.«
»Einen Moment bitte noch«, erwiderte Gerardo. »Ich führe gerade eine wichtige Unterhaltung.«
»Es gibt nichts mehr zu sagen«, sagte Clara abschließend. »Messer Gerardo, ich danke Euch für das, was Ihr für meinen Bruder getan habt, aber jetzt lasst mich bitte in Ruhe.«
Sie drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort in die Richtung fort, aus der der Capitano gekommen war, gefolgt von den Blicken der Häscher.
»Ein hübsches Mädchen«, sagte Visdomini augenzwinkernd. »Ich an Eurer Stelle würde ihr jedoch nicht so viel Beachtung schenken. Das steigt denen bloß zu Kopf.«
»Belassen wir es dabei«, brummte Gerardo widerwillig. »Hat man Euch die Identität des toten Mönchs bestätigt?«
»Ja. Ein Problem gelöst.«
»Gelöst? Jetzt weiß man zwar, wer er ist, aber man muss noch herausfinden, wer ihn getötet hat.«
Der Capitano del Popolo zuckte mit den Achseln. Eben hatte man seinem Gesicht noch Anspannung und Erschöpfung angesehen, doch jetzt wirkte er gelassen, ja beinahe zufrieden.
»In diesem Viertel sterben jede Woche mindestens zwei oder drei Menschen beiderlei Geschlechts. Meist findet man die Leichen im Reno-Kanal, doch kaum jemals gelingt es, ihre Mörder zu finden. Jeder dort hat etwas zu verbergen, und sie stecken alle unter einer Decke.«
Gerardo wollte entgegnen, dass der Mönch ja wohl kaum ein Verbrecher gewesen sei, der von anderen Schurken umgebracht worden war, sondern ein Priester der Heiligen Kirche, und dass es oberste Pflicht wäre, seinen Mörder zu finden, und möge es auch noch so schwierig erscheinen. Aber schon seine ersten Worte gingen im Lärm eines Wortgefechts ganz in der Nähe unter. Visdomini achtete nicht weiter auf Gerardo und schickte die beiden Häscher, um den Streit zu schlichten. Die zwei Männer drängten sich gewaltsam durch die Menge aus Käufern und Verkäufern der unterschiedlichsten Waren, und ohne groß Zeit damit zu verlieren, sich die Gründe der Kontrahenten anzuhören, verprügelten sie alle beide, und es kehrte unverzüglich Ruhe ein. Der Capitano, der das Geschehen verfolgt hatte, nickte zustimmend.
»Es gibt keinen besseren Weg, eine aufkommende Schlägerei zu befrieden«, sagte er und nahm seinen Weg wieder auf, ohne den toten Mönch noch einmal zu erwähnen.
Sie kamen wieder über die Piazza Maggiore, diesmal aus entgegengesetzter Richtung, und erreichten erneut die Via di Porta Nova. Auf Höhe der Kirche Sant’Antonino bogen sie links ab und blieben vor der Medizinschule stehen. Beide bemerkten sofort, dass die Tür nur angelehnt war.
»Mondino muss noch drinnen sein«, sagte Gerardo. »Dann könnt Ihr direkt mit ihm sprechen.«
Doch als er vor der Tür stand, bemerkte er, dass das Schloss aufgebrochen worden war. Hastig betrat er das Haus, der Capitano und die Häscher folgten ihm. Er rief laut nach Mondino, erhielt aber keine Antwort. Zuerst sah er in dem kleinen Raum neben dem Hörsaal nach, dann trat er, auf das Schlimmste gefasst, an das Loch in der Wand, das zu dem im Bau befindlichen Hörsaal führte.
Alles war in Ordnung, in perfekter Ordnung. Nur der Lehnstuhl mit Bertrando Lambertis Überresten war verschwunden.
»Vielleicht wollte er ja nicht mehr warten und hat jemanden bezahlt, damit er die Leiche zur Familie zurückbringt«, überlegte Visdomini.
»Und dafür hat er das Schloss der Medizinschule aufgebrochen?«, fragte Gerardo und sah ihn eindringlich an. Der Capitano schien eigentlich nicht dumm zu sein, und doch legte er eine Oberflächlichkeit an den Tag, die schon an Idiotie grenzte.
»Das habe ich nicht gemeint«, erwiderte Visdomini sogleich. »Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass jemand Lust haben könnte, eine halbverbrannte Leiche zu stehlen.
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