Die Bruderschaft des Feuers
Vermutungen hegte, welcher Art die Beziehung zwischen Samuele und dem Toten gewesen war, ließ er sich nichts anmerken.
»Ich werde ihn so schnell wie möglich ins Kloster schaffen lassen«, verkündete er. »Dem Pater Guardian sage ich, dass jemand hier vorbeigekommen ist, der ihn kannte, und die Leiche identifiziert hat.«
In diesem Moment beschloss Samuele, der seiner Stimme aufrichtiges Beileid angehört hatte, sich ihm anzuvertrauen. Er griff mit einer Hand unter die Kutte und zog aus den Falten seines Hemdes den Brief hervor, den er Venanzios Truhe entnommen hatte und der auf einem unbekannten Material, weder Pergament noch Papier, geschrieben war. »Wie schon gesagt, habe ich das Schreiben, das Venanzio von diesem Mann erhalten hat, nicht gefunden«, sagte er. »Doch unter seinen Habseligkeiten lag dies hier.«
Der Capitano ergriff die Rolle, noch ehe er sie ihm reichte, in seinen Augen lag ein merkwürdiger Ausdruck, eine Mischung aus Triumph und Erleichterung. Er entrollte sie, runzelte die Stirn und fragte dann: »Wisst Ihr, was dieser Brief bedeutet?«
Samuele zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn natürlich gelesen und habe verstanden, dass es um eine antike ketzerische Religion geht, die ein römischer Legionär aus dem Orient mitgebracht hat«, sagte er. »Aber das ist auch schon alles. Ich hoffe, dass es ein wichtiger Hinweis ist, um Pater Venanzios Mörder zu finden. Ich hoffe es wirklich sehr …«
»Sicher«, erwiderte Visdomini und steckte den Brief in die Tasche, die er am Gürtel trug. Plötzlich schien er es sehr eilig zu haben, ihn loszuwerden. »Gewiss, natürlich. Ich behalte ihn hier und bin sicher, dass er von Nutzen sein wird.«
Samuele begriff, dass er übereilt gehandelt hatte. Der Capitano würde gar nichts unternehmen. Schon der Pater Guardian hatte ihm zu verstehen gegeben, dass es für alle Beteiligten besser wäre, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen, und auch Visdomini hatte nichts davon, in einem Todesfall zu ermitteln, der niemanden interessierte.
Der Fall war abgeschlossen.
Vielleicht für alle anderen, aber nicht für ihn.
In einer heftigen Gefühlsbewegung, die er sofort unterdrückte, schwor er insgeheim bei Gott, dass er etwas unternehmen würde, ja, dass er alles tun würde, was in seiner Macht stand, damit dieser Mord nicht ungesühnt blieb.
»Danke«, sagte er düster zu Visdomini, ohne noch etwas hinzuzufügen.
Er verabschiedete sich mit einem Kopfnicken und strebte dann mit großen Schritten dem gräulichen Licht des Ausgangs zu. Selbst als er sich wieder auf der Straße befand, wo ein frischer Wind wehte, hatte er weiter diesen süßlichen Geruch in der Nase.
Selbst die Kälte konnte nicht verhindern, dass Venanzios perfekter Körper zu verwesen begann.
»Ein Glück, dass ich Euch gesehen habe«, sagte Clara. »Der Bruder Pförtner hatte mir gesagt, Ihr würdet bald zurück sein, aber ich konnte nicht auf Euch warten. Ich muss zurück nach Hause.«
Sie trat beiseite, um eine andere Magd vorbeizulassen, eine ältere Frau, die sofort auf einen der Käsehändler einschimpfte, er sei zu teuer. Seit der sommerlichen Hungersnot gab es immer häufiger Streit um die Preise. Und auf den Märkten war immer weniger los.
»Habt Ihr Euren Bruder besucht?«, fragte Gerardo.
»Ja. Doch ich konnte ihn nur kurz sprechen, und er hat die ganze Zeit geweint. Weshalb, habe ich nicht begriffen.«
»Er macht sich Sorgen, dass Ihr ihn nicht lieb habt. Als Ihr neulich nicht gekommen seid, fürchtete er schon, dass Ihr ihn für immer verlassen hättet.«
Clara und Masino hatten sich zufällig an einem Vormittag Ende November auf dem Markt wiedergefunden. Gerardo war mit dem Jungen an der Hand zwischen den Werkstätten der Kupferschmiede herumgelaufen, in der Gegend zwischen dem Mercato di Mezzo und dem Palazzo della Biada, den die Einwohner Bolognas weiterhin hartnäckig Palazzo degli Accorsi nannten, obwohl das Gebäude inzwischen nicht mehr dieser Familie gehörte, sondern in den Besitz der Stadt übergegangen war, die daraus einen Kornspeicher gemacht hatte.
Plötzlich hatte sich der kleine Junge losgerissen und war durch die Menge gerannt. Gerardo hatte ihn verfolgt, und als er ihn endlich eingeholt hatte, lag Masino in Claras Armen und weinte mit geschlossenen Augen. Auch Clara weinte, und Gerardo hatte eine Weile gebraucht, um zu begreifen, dass es Freudentränen waren.
Dennoch hatte die junge Frau leider schnell wieder zu dem Haus im Viertel Porta San Pietro
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