Die Bruderschaft des Feuers
leiser Stimme. »Wenn die Leiche meines Vaters nicht schnellstens wieder auftaucht, damit ich ihr wenigstens ein christliches Begräbnis geben kann, werdet Ihr nicht mit einer einfachen Geldstrafe davonkommen. Das schwöre ich Euch.«
Nach diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um und schritt mit wehendem Umhang und flatternden blonden Haaren der Piazza entgegen. Erst jetzt bemerkte Mondino, dass unter dem Bogengang Stille eingekehrt war und alle ihn anstarrten. Unverzüglich betrat er das Gebäude und eilte die Stufen hinauf. Er durchquerte den Saal der Richter, in dem sich die Menschen drängten, obwohl die Büros sehr bald geschlossen werden würden, betrat einen Flur, wo er zwischen zwei Häschern hindurchging, die ihn ungefragt vorbeiließen, als sie den roten Talar der Ärzte erkannten, und betrat, ohne anzuklopfen, das geräumige Arbeitszimmer des Podestà.
Taverna Tolomei saß hinter einem langen schmalen Tisch aus dunklem Holz und hatte offensichtlich niemanden erwartet. Zum ersten Mal sah Mondino ihn ohne seine Amtstracht und die Machtinsignien. Der Podestà trug eine cremefarbene Tunika, die ihn aus irgendeinem Grund noch kleiner und dicklicher wirken ließ, ein wollenes Übergewand und Hausschuhe. So ganz ohne Kopfbedeckung war auch der spärliche Haarwuchs zu sehen, der an eine Tonsur erinnerte. Doch dieser leicht komisch wirkende Anblick wurde von der energischen Härte seines Kiefers und dem unrasierten Kinn wieder aufgehoben.
»Jetzt auch noch Ihr!«, rief er aus. »Wer hat Euch erlaubt, hier einzutreten? Heute empfange ich keine Besuche.«
»Ihr habt Azzone empfangen.«
»Nur weil er einfach hier hereingestürmt kam, genau wie Ihr. Außerdem ist er in der Sache der Geschädigte, also musste ich ihn auch noch beruhigen.«
»Und Ihr habt ihn beruhigt, indem Ihr ihn angestiftet habt, mich anzuklagen?«, fragte Mondino. »Ihr wisst genau, dass es nicht meine Schuld ist, dass die Leiche geraubt wurde.«
»Meint Ihr? Ich weiß nur, dass euch beide eine tiefe Feindschaft trennt. Wer sagt mir denn, dass Euer Beharren darauf, Bertrandos Leichnam in Eurer Medizinschule zu untersuchen, kein Vorwand war, um Euch an Azzone zu rächen? Oder vielleicht war, wie er selbst meint, die Leiche nach Eurer Untersuchung so übel zugerichtet, dass Ihr sie lieber habt verschwinden lassen?«
Mondino traute seinen Ohren nicht. Der Podestà beschuldigte ihn nicht nur der Nachlässigkeit, er behauptete sogar, dass er selbst Bertrandos Leiche aus Rache hätte verschwinden lassen oder um irgendeinen Frevel zu verbergen.
»Habt Ihr wirklich die Dreistigkeit, so etwas zu denken?«, fragte er in drohendem Ton und ging einen Schritt auf den Tisch zu.
Taverna Tolomei erhob sich. Er war einen ganzen Kopf kleiner als Mondino, doch das schien ihn keineswegs einzuschüchtern.
»Was habt Ihr mit Eurem Gesicht angestellt?«, fragte er. »Eine widerspenstige Geliebte?«
»Einige junge Männer haben gerade eben Andrea da Viterbo angegriffen. Ich habe ihm geholfen, sie zu vertreiben.«
»Ihr lasst keine Gelegenheit aus, Euch mit jemandem anzulegen, oder?«
Mondino hätte ihn jetzt am liebsten geohrfeigt. Er verlangte bestimmt keinen Dank dafür, dass er einen ehrbaren Bürger aus einer Notlage gerettet hatte, aber Tolomeis Kommentar war beleidigend.
»Vergesst es einfach und antwortet auf meine Frage. Denkt Ihr wirklich, was Ihr gerade gesagt habt?«
»Hier zählt nicht, was ich denke, Magister«, erwiderte der Podestà, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, »sondern was die Richter darüber denken werden. Azzone beschuldigt Euch, Ihr hättet Euch an ihm rächen wollen und deshalb Bertrandos Leiche verschwinden lassen, während sie Eurer Obhut anvertraut war …« Er unterbrach sich kurz, vielleicht weil er überlegte, dass »Obhut« nicht das passende Wort im Zusammenhang mit einem Toten war. Dann sah er ihm von unten in die Augen und fuhr fort: »… um ihn daran zu hindern, seinem Vater ein christliches Begräbnis zu bereiten. Könnt Ihr beweisen, dass dem nicht so ist?«
Bestürzt musste Mondino feststellen, dass er dazu nicht in der Lage war. Alles sprach gegen ihn. Die Feindschaft mit Azzone, sein Beharren, dass die Leiche in die Medizinschule gebracht werden sollte, und vor allem die Tatsache, dass niemand sonst ein Interesse daran gehabt hätte, einen halbverkohlten Leichnam verschwinden zu lassen.
In diesem Augenblick glich Taverna Tolomei keineswegs dem lächerlichen, aufgeblasenen Kerl, der alles dafür
Weitere Kostenlose Bücher