Die Bruderschaft des Feuers
brach das Brot und schob dem Adepten ein Stück davon in den Mund. Dann bot er ihm den Kelch, ganz nach dem ursprünglichen Ritus, den die Christen später übernommen hatten. In einem aber unterschied sich die Mithraskommunion von der christlichen: Der Kelch enthielt keinen geweihten Wein, sondern den vergorenen Saft der heiligen Pflanze namens haoma , also jenes mystische Getränk der legendären persischen Magier, durch das die Eingeweihten in direkten Kontakt zu Mithras treten konnten.
Später hatte Zarathustra den Saft verboten und durch einfachen Wein ersetzt, aber der mysteriöse Titus hatte einige in Honig eingelegte Samen aufbewahrt, die auch Jahrhunderte später nach dem fachgerechten Einpflanzen und Wässern die Pflanzen hervorgebracht hatten, aus denen man den Saft erzeugte.
Der Neuling trank, dann trat er beiseite und machte Platz für die anderen Eingeweihten. Jeder schluckte ein Stück Brot und trank einen langen Schluck aus dem Kelch, der mehrmals aus einem prallen Lederschlauch nachgefüllt wurde. Dann folgte der Moment der Sammlung, in dem jeder mit seinen eigenen Visionen allein blieb. Schließlich läutete der Priester eine Silberglocke, alle öffneten die Augen und sprachen gemeinsam die rituellen Worte: »Ich habe die Pforte des Todes hinter mir gelassen, habe Proserpinas Schwelle überschritten, und nachdem ich die Elemente durchwandert habe, bin ich auf die Erde zurückgekehrt. Inmitten der Nacht habe ich die Sonne im reinen Licht erstrahlen sehen. Ich habe die Götter in der Höhe und die in der Tiefe von Nahem erblickt und von Angesicht zu Angesicht angebetet.«
Nach Beendigung der Zeremonie sprach der Pater ein paar freundliche Worte über den Neueingeweihten, dann sagte er: »Gehen wir, der Moment ist gekommen«, und wandte sich der Treppe zu, die zum darüberliegenden Heiligtum führte.
Nun war es Zeit, auch den Gläubigen niederer Weihestufen einen Teil des Plans mitzuteilen, auch wenn deren Geist nicht groß genug war, um alle Einzelheiten zu erfahren. Giovanni hatte sich immer wieder gesagt, wenn Mithras so entschieden hatte, musste er einfach daran glauben, ohne sich ein Urteil anzumaßen. Und doch schien ihm dieser Glaube jetzt zu fehlen. Er atmete tief ein, straffte sich und folgte dem Pater und seinen Statthaltern über die Treppen nach oben. Hinter ihm kam der Neueingeweihte, und die Fackelträger beschlossen die Reihe, der erste mit nach oben erhobener und der andere mit gesenkter Fackel, Symbole für den Lauf der Sonne von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang und zugleich für den Kreislauf des Lebens: für dessen strahlende Wärme und für die eisige Kälte des Todes.
Sie gelangten in den Haupttempel, wo unter einem mit einem Sternenhimmel bemalten Gewölbe etwa zwanzig Männer und Frauen ihrer harrten. Schweigend saßen sie auf geometrisch gemusterten Teppichen, die aus dem Osmanischen Reich stammten. In der Mitte des von Fackeln und Öllampen erleuchteten Raums bot sich der abstoßendste Anblick, den Giovanni sich vorstellen konnte: ein angesengter Lehnstuhl aus Holz und gehärtetem Leder mit den verkohlten Überresten Bertrando Lambertis. Er hatte zwar gehört, was Bertrando zugestoßen war, aber das hatte ihn nicht auf diesen Anblick vorbereiten können. Giovanni da San Gimignano fühlte, wie ihm Tränen die Wangen hinabliefen. Und ihn erfüllte tiefe Furcht, als er sich vorstellte, dass seinem Körper das Gleiche widerfahren könnte. Er betete von ganzem Herzen zu Mithras, dass er ihm seine Zweifel vergeben möge, und schwor, dass er von nun an den vom Pater verkündeten Plan getreu umsetzen würde.
Die Gläubigen erhoben sich, murmelten die rituelle Grußformel und setzten sich wieder. Der Pater nahm auf einem kleinen Stuhl vor dem großen Fresko Platz, das Mithras zeigte, während er den Stier tötete; die Statthalter und die Fackelträger stellten sich hinter ihm auf, während Giovanni und der soeben um eine Weihestufe aufgestiegene Adept sich zu den anderen gesellten und sich ebenfalls auf die Teppiche kauerten.
»Ihr wisst ja«, begann der Pater, wie immer sehr leise, sodass man selbst kein Wort sagen durfte, wenn man ihn verstehen wollte, »Gott hat unseren Bruder Bertrando bestraft, weil er vorhatte, uns zu verraten. Bertrando fühlte sich in seinem eigenen Haus sicher, aber einfache, von Menschen errichtete Mauern können Mithras’ Zorn nicht aufhalten. Dieser Mann hat das Göttliche Feuer erfahren und ist bei lebendigem Leib verbrannt.« Er
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