Die Bruderschaft des Feuers
klein sind, als dass man sie durch Sezieren freilegen könnte«, erklärte er. »Um sie so voneinander zu trennen, dass man sie genau betrachten kann, müsste man sie kochen, und ihr wisst alle sehr gut, dass dies eine Sünde ist, weil die Kirche es verbietet, daher sollte man es unbedingt unterlassen.«
Mondino kam oft darauf zu sprechen, dass man sich beim Betreiben von Anatomiestudien ständig auf Messers Schneide befand und dass man sich strengstens an die von der Kirche auferlegten Vorschriften zu halten hatte. In Bologna war das Sezieren menschlicher Leichen zum Glück nicht offiziell verboten wie in anderen Städten, und damit dieses Privileg erhalten blieb, musste man alles tun, um die Kirche nicht zu brüskieren.
»Ich bin damit nicht einverstanden«, sagte Andolfo, der sich einfach nicht zurückhalten konnte, wenn die Rede auf die Kirche kam.
Mondino blieb vor Verwunderung fast der Mund offen stehen. »Du bist nicht damit einverstanden, dass man die Sünde unterlassen sollte, menschliche Knochen zu kochen?«
Der Ire schnaubte entrüstet, als wäre doch offensichtlich, dass er es so nicht gemeint hatte. »Ich bin mit der Formulierung nicht einverstanden. Das Kochen ist keine Sünde, weil die Kirche es verbietet, sondern die Kirche verbietet es, weil es eine Sünde ist.«
Mondino war nicht in der richtigen Stimmung, sich auf diesen Disput einzulassen, doch Odofredo hielt dagegen. »Ich erinnere dich daran, dass es bis vor Kurzem keine Sünde war, menschliche Knochen zu kochen, so wurde beispielsweise der Leichnam von Ludwig dem Heiligen nach dessen Tod dieser Prozedur unterzogen, damit er aus dem Heiligen Land in seine Heimat überführt werden konnte.«
Andolfo machte schon Anstalten, etwas zu erwidern, aber Mondino hielt ihn mit einer Handbewegung auf. »Das genügt«, sagte er. »Ihr werdet beide dem Pedell einen Soldo Strafe bezahlen, weil ihr den Unterricht an unpassender Stelle unterbrochen habt. Jetzt fahren wir fort.«
Es tat ihm ehrlich leid, Odofredo diesen Strafzoll aufzuerlegen, weil dieser zu seiner Verteidigung das Wort ergriffen hatte und nicht aus einem reichen Elternhaus kam. Doch er war überzeugt, dass seine Bemühungen, ihm beizubringen, was Disziplin bedeutete, und sei es mit so unangenehmen Maßnahmen wie Strafgeldern, nur zu seinem Besten wären.
Das Ende der Lektion kam beinahe unerwartet, und erst da überfiel Mondino wieder die düstere Stimmung, in der er heute Morgen den Hörsaal betreten hatte. Das Unterrichten, die Vermittlung von Wissen an interessierte Menschen, die es zum Wohle der Menschheit mehren würden, war das, was die wissenschaftliche Forschung zu etwas Lebendigem machte anstatt zu einer trockenen Verstandesübung.
Und jetzt war ebendiese Tätigkeit, die vor allen anderen seinem Leben einen Sinn verlieh, wieder in Gefahr.
Er riss sich zusammen und pochte zweimal mit den Knöcheln auf die geneigte Pultfläche, was ihm Stille und die erneute Aufmerksamkeit seiner Studenten bescherte, die bereits Federn und Tintenfässchen wegräumten und zusammen mit peciae und Pergamenten in die Taschen packten, die sie während der Vorlesung zu ihren Füßen aufbewahrten.
»Aufgrund der Arbeiten für den neuen Anbau«, verkündete er, »schließt die Schule bereits ab heute für die Weihnachtsferien. Mein Pedell wird euch in den nächsten Tagen mitteilen, wann der Unterricht zu Beginn des neuen Jahres wiederaufgenommen wird.«
Die Studenten nahmen diesen vorgezogenen Beginn der Weihnachtsferien freudig auf, und auch Mondino schien einen Moment lang seinen eigenen Worten zu glauben. Das war zumindest die halbe Wahrheit. Die Maurer hatten ihn gebeten, auf die Wand den Umriss des Bogens aufzuzeichnen, den er sich anstelle der trennenden Wand wünschte, und zur weiteren Umsetzung des Vorhabens musste die Schule leer sein. Wenn nun inzwischen alles zu einem guten Ende kam, würde er bald wieder auf dem Podium stehen, und die ganze Angelegenheit würde nur noch eine weitere schlimme Erinnerung sein, die es schnell zu vergessen galt.
Sollte er jedoch Bertrando Lambertis Leichnam nicht wiederfinden, würde der Unterricht viel länger als nur über die Weihnachtstage unterbrochen sein. Er müsste sich auf Azzones Anzeige hin verantworten, in einem Prozess mit unsicherem Ausgang, bei dem es an ihm sein würde, die eigene Unschuld zu beweisen, während Bolognas Notabeln mit dem Podestà an der Spitze alles daransetzen würden, ihn zu einem bequemen Sündenbock zu
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