Die Bruderschaft des Feuers
Studienkameraden begegneten, der sich später als unter falschem Namen reisender, in eine düstere Geschichte aus Mord und Alchimie verwickelter Tempelritter entpuppt hatte, hätte sie das noch mehr aus ihrem seelischen Gleichgewicht bringen können.
Auf Zehenspitzen betrat er das große Zimmer, um den Verletzten nicht zu stören, und beugte sich über den Tisch, um nachzusehen, wie es ihm ging. Paolo il Tosco hatte auch die zweite Nacht recht gut überstanden, obwohl es noch einmal nötig gewesen war, die Prozedur der unterstützten Atmung zu wiederholen. Mondino hatte versucht, seine Studenten dazu zu bewegen, sich ebenfalls in dieser Methode zu versuchen, doch beide hatten sich rundheraus geweigert.
Allerdings war er ihnen deshalb nicht gram, es bedeutete ja schon viel, dass er sie davon hatte überzeugen können, dies nicht als Hexerei anzusehen.
Er war sich bewusst, wie sehr es sie erschüttert haben musste, als sie ihren Lehrmeister über den Tisch gebeugt gesehen hatten, wie er seinen Mund auf den eines anderen Mannes presste, noch dazu eines Sterbenden.
»Das Herz war stehen geblieben, aber das Leben nicht«, hatte Mondino ganz ruhig gesagt, als die beiden in der offensichtlichen Absicht auf ihn zugerannt waren, sich auf ihn zu stürzen. »Indem ich Luft in seine Lungen gepresst habe, hat sein Herz wieder seine Arbeit aufgenommen. Jetzt atmet er wieder selbstständig.« Noch keuchend vor Anstrengung hatte er sich aufgerichtet und sie mit einem drohenden Blick davon abgehalten, ihn zu berühren. Während die beiden unentschlossen stehen blieben, hatte er hinzugefügt: »Das hat nichts mit Hexerei zu tun. Es ist eine reine Frage der Mechanik. Wie bei einem Blasebalg.«
Dass er den Blasebalg als Beispiel brachte, einen bekannten Alltagsgegenstand, der von Schmieden ebenso benutzt wurde wie von Bäckern, um die Glut in ihren Öfen anzufachen, hatte sie wieder zur Vernunft gebracht.
Das war immer so, dachte Mondino. Die Menschen reagierten ängstlich auf etwas, das sie nicht kannten, doch sobald das Unbekannte zu etwas Bekanntem wurde, war es so, als hätte es das, was sie zuvor so verwirrt hatte, schon immer gegeben. Jetzt bestand seine Aufgabe jedoch darin, das Verständnis seiner beiden Schüler zu untermauern, indem er ihnen eine wissenschaftliche Grundlage für seine Behandlungsmaßnahmen an die Hand gab.
Am Vortag war ihm das nicht möglich gewesen, weil er trotz des Schnees bei Gericht vorstellig werden musste, um sich dort wegen der Schlägerei in der Schenke vom elften Dezember zu verteidigen. Zum Glück war alles gut ausgegangen. Eine kurze Erklärung hatte genügt, in der er mit Bedacht seine privilegierte Stellung als Dozent hervorgehoben hatte, damit die Richter ihm recht gaben. Er schöpfte bereits Hoffnung, dass Azzones Anzeige sich ebenfalls auf diese Weise aus der Welt schaffen ließ.
Ihm blieben nämlich nur mehr zwei Tage von der Woche, die ihm der Podestà bewilligt hatte, um Bertrando Lambertis Leichnam zu finden, und wenn nicht noch ein Wunder geschah, musste er sich geschlagen geben.
Und doch fühlte er sich an diesem Morgen besonders optimistisch. Er sah nach, ob der Lederkragen, der die Wirbel daran hinderte, sich zu verschieben, sich nicht gelockert hatte, flößte dem Patienten mit Lorenzas Unterstützung noch etwas verdünntes Opium ein, dann ließ er Gabardino und Viviana bei ihm wachen und sagte ihnen, sie sollten die beiden Studenten zu ihm ins Arbeitszimmer schicken, sobald diese ihr Frühstück beendet hätten.
Odofredo und Andolfo schliefen tatsächlich schon seit zwei Tagen in seinem Haus. Zwei Gründe hatten ihn dazu bewogen, ihnen das Gästezimmer anzubieten: Einmal musste ständig jemand am Krankenlager von Paolo il Tosco wachen, und zum anderen hätten sie wegen des Schneefalls schwerlich jeden Tag den Weg zu seinem Heim zurücklegen können.
Wenngleich niemand auch nur für einen Moment die Qualen des Zimmermanns vergaß, war in diesen Tagen durch die Anwesenheit so vieler junger Menschen doch eine heitere Stimmung im Haus eingekehrt. Gabardino, Leone und Ludovico überboten sich darin, die Gäste mit Freundlichkeiten zu überschütten, die Küche war immer belebt, und sogar Pietro und Lorenza lächelten häufiger als sonst, obwohl die Bewirtung von so vielen Leuten, einschließlich des Kranken, für sie eine beachtliche Mehrbelastung bedeutete.
Mondino überlegte, dass zum ersten Mal, seit seine Frau gestorben war, im Haus wieder Weihnachtsstimmung
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