Die Bruderschaft des Schmerzes
Sophia O’Hara und wandte sich vom Fenster ab, als Fraden wieder ins Schlafzimmer kam. Vom Fenster aus hatte man einen weiten Blick über das freie Gelände hinter dem Palast. In der Ferne ragte düster das schwarze Stadion auf; und seit etwa einer Stunde war ein Lastwagen nach dem anderen in das Stadion gerollt. Jeder war dicht mit gefesselten Männern und Frauen beladen. Zahlreiche Töter-Patrouillen wachten über den Vorgang. „Und was wollte dieser Töter eben von dir?“
„Es sieht so aus, als ob sie wieder eine Abscheulichkeit vorbereiten“, antwortete Fraden. „Der Töter hat mir eine Einladung gebracht. Eigentlich war es eher ein Befehl. Ich soll mich in Moros Ehrenloge im Pavillon heute zum Festspiel einfinden.“
„Festspiel?“ Sophia runzelte mißtrauisch die Stirn. „Was meint der alte Fettkloß mit ‚Festspiel’?“
„Irgendwie habe ich das Gefühl, daß es sich nicht um einen Maientanz handeln wird“, erwiderte Fraden. „Ich habe versucht, ungefähr zu schätzen, wie viele Menschen sie ins Stadion geschafft haben. Bevor mich der Töter unterbrochen hat, war ich etwa bis zweihundert gekommen, und es nimmt noch immer kein Ende. Ich frage mich, worauf das alles hinausläuft.“
In Wirklichkeit wußte Fraden nur zu gut, was hinter diesen Vorgängen steckte. In den letzten fünf Tagen hatten sich alle Brüder im Palast bis Unterkante Oberlippe mit Omnidren gefüllt. Sie hatten sich in eine richtig schöne, triefende Vorfreude hineingesteigert, und sie schwatzten von nichts anderem als von der großen Schau, die Moro vorbereitete. Moro selbst sagte gar nichts, und sein Schweigen glich auf obszöne Weise dem Gebaren eines Schuljungen, der einen besonders garstigen Streich plant. Andererseits war der Prophet des Schmerzes geradezu versessen darauf, das große Folterpogrom zu diskutieren, das er vorbereitete. Das Pogrom, das Tausende wahnsinnig machen würde und von dem er hoffte, daß es ihn mit einer nie versiegenden Quelle für Omnidren versorgen würde. Seit zwei Tagen waren Baugeräusche aus dem Innern des Stadions gedrungen, und nun karrten sie die Sangraner zu Hunderten heran … Dann diese Einladung!
Das Spiel mit dem Wahnsinnspogrom war ihm wirklich als glänzender Einfall erschienen, als er ihn Moro verkauft hatte. Schmerzlos, fern und ohne Zusammenhang mit seinem Alltagsleben. Wenn die Dinge sich erst einmal in Bewegung gesetzt hatten, wollte er sich mit Sophia in Vanderlings Lager begeben. Er würde die Freie Republik von Sangre ausrufen und ein Gerücht in Umlauf bringen. Ein Gerücht, das von Tatsachen unterstützt würde: daß die Bruderschaft die Bevölkerung des ganzen Planeten wahnsinnig machen wollte, um sie danach langsam ausbluten zu lassen und so Omnidren zu gewinnen. Wie ein Unwetter würde dann die Revolution über das Land fegen …
Aber nun, da das Spiel Gestalt angenommen hatte, da sich die Brüder in kichernder Vorfreude ergingen, wie Teenager, die sich auf eine Pyjama-Party freuen, und da Hunderte von Opfern aus Fleisch und Blut zu einem obskuren Zweck ins Stadion gekarrt wurden, da war es mit einemmal kein cleverer Trick mehr. Hier ging es unausweichlich um Menschenleben, menschlichen Schmerz, menschlichen Verstand, und das alles ging auf sein Konto. Die Folterkampagne würde die Revolution entzünden; er wußte, daß sie das tun würde, sie mußte es einfach … Aber der Zunder, der dafür benötigt wurde, war menschlicher Zunder, der dachte und litt, blutete und starb.
Erst als der Töter ihm die groteske „Einladung“ gebracht hatte, war ihm klargeworden, daß er mit ansehen mußte, was er erdacht hatte. Er würde es riechen, hören und schmecken müssen.
Aber jetzt gab es keinen Weg zurück mehr; und es hatte auch keinen Sinn, daß er Sophia von seinem Anteil an dem schändlichen Geschehen erzählte. Es war etwas Böses, das wahrhaft Böse, und die Schuld, falls man das Schuld nennen konnte, was er spürte, war etwas höchst Intimes, etwas, das er mit niemandem teilen konnte.
„Bezieht sich diese Einladung auch auf Angehörige?“ wollte Sophia wissen. „Ich muß zugeben, daß ich eine Art morbide Neugierde für das exotische Brauchtum deiner Kumpane verspüre.“
Fraden schwankte zwischen dem Wunsch, ihr den Schrecken zu ersparen, der zu erwarten war, und der Furcht vor der schrecklichen Einsamkeit, mit der er sonst fertig werden mußte. Nach einem langen Augenblick entschied er sich für die weniger egoistische Möglichkeit.
„Ich fürchte,
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