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Die Bruderschaft des Schmerzes

Die Bruderschaft des Schmerzes

Titel: Die Bruderschaft des Schmerzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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der vergangenen Woche um das Dreifache angestiegen. Nun wurde es allmählich Zeit, die Gerüchteküche einmal auszuprobieren, die Olnay aufgebaut hatte.
    „Gut, Olnay, deine Agenten sind an ihrem Platz“, sagte er. „Nun wollen wir einmal sehen, was sie leisten können.“
    Olnay löste seinen Blick von der Mitte des Lagers, wo fast zweihundert Freiwillige um zahlreiche Lagerfeuer hockten und soeben die letzten Bissen des trockenen, faden sangranischen Brots verspeisten. Olnay sah Fraden erwartungsvoll an.
    „Nun werden wir erleben, wie gut deine Jungs eine Propagandageschichte verbreiten können“, sagte Fraden. „Die Töter löschen alle Gehirne aus, weil sie sich überlegt haben, daß verhungernde Tiere schneller wahnsinnig werden. Ich möchte, daß das jeder Dorfbewohner hier im Bezirk in einer Woche weiß. Und ich möchte, daß die Geschichte mit dem Satz endet: ‚Nur Bart Fraden kann uns retten.’ Geht das klar?“
    „Die Töter bringen alle Gehirne um?“ sagte Olnay ungläubig.
    Fraden zögerte. Es sprach einiges dafür, daß er Olnay die Wahrheit sagte … Wenn er selbst herausfinden würde, daß er belogen wurde, würde er sicher Schwierigkeiten machen. Auf der anderen Seite gab es natürlich das erste Gesetz der Geheimhaltung, das besagte, daß man niemandem mehr anvertrauen sollte, als er für seinen Job unbedingt wissen mußte.
    „Darum geht es gar nicht“, sagte er. „Ich will, daß die Leute daran glauben, ganz gleich, ob es die Wahrheit ist oder nicht. Wichtig ist, was sie darüber denken, was vor sich geht, und nicht das, was wirklich geschieht.“
    Olnay nickte. „Diese Propaganda, das ist nicht die Wahrheit, aber eine Lüge ist es auch nicht? Oder ist es vielleicht beides?“ Man konnte ihm ansehen, daß er Schwierigkeiten hatte.
    „Mach dir nichts daraus“, sagte Fraden. „Es ist nicht gut für die Verdauung, wenn man zuviel nachdenkt. Wir wollen einfach sagen, daß alles das wahr ist, was du zur Wahrheit machen willst. Die Menschen herrschen über die Wahrheit und nicht umgekehrt. Und jetzt ans Werk!“
    Olnay schien mit dieser pragmatischen Erklärung zufrieden zu sein. Vielleicht war er auch so verwirrt, daß er nicht länger darüber nachdenken wollte.
    Fraden stand auf, reckte sich und lachte. Vor Jahren schon hatte er es aufgegeben, sich über die grundlegende Naivität und Selbstsucht der Menschen Sorgen zu machen. Die schlimmsten menschlichen Charakterzüge, Gier, Haß, Dummheit, konnten nützlich sein, wenn man sich dafür entschieden hatte, sich ihrer zu bedienen, anstatt zu versuchen, etwas dagegen zu tun. Später einmal, wenn der Krieg erst gewonnen war, würde vielleicht Gelegenheit sein, sich der geschmacklosesten Verfehlungen anzunehmen. Jetzt aber, sagte er zu sich, entspanne dich, genieße den Augenblick. Zum ersten Mal, seit sie auf Sangre gelandet waren, hatte er das Gefühl, daß er die Lage völlig beherrschte. Er konnte spüren, wie die Revolution in Schwung kam. Da gab es Ereignisse, Menschen, ganze Handlungsmuster, in denen sich die beginnende Revolution zeigte. Das alles ergänzte sich zu einem großen Netz, in dessen Zentrum er saß. Er kontrollierte alles, gab Impulse, Anreize, es war fast, als sei die Revolution zu einem Körperteil von ihm geworden.
    Er trat in die Hütte. Sophia lag auf dem Bett, matt, gelangweilt. Er ging zum Bett hinüber und sah auf sie herab. Ein wohliges Gefühl durchströmte ihn. Es war so großartig, das Herz einer ganzen Revolution zu sein, Menschen und Ereignisse zu spüren und voranzutreiben, einen Planeten so zu handhaben, daß alles sich nach den Mustern richtete, die er ersonnen hatte. Das war ein ganzes Universum, das sich auf seine Person orientieren mußte. Er hatte die Verantwortung, war die Nummer eins, der Führer, der Mann, welcher … Jetzt sah er auf seine Frau hinab, und er wußte, daß er ihr bald einen ganzen Planeten wie eine Murmel zu Füßen legen konnte.
    Sie sah zu ihm auf. Ihre Augen weiteten sich, und sie lächelte verwegen.
    „Bart …“ , murmelte sie. „Ich habe dich noch nie so gesehen … Du siehst aus wie ein Stier, wie ein kraftstrotzender Stier. Zeus, der Europa vergewaltigen will …“
    Fraden lachte. Jaaa, ich fühle mich tatsächlich wie ein Gott! Zeus hatte seinen Planeten, und ich habe meinen, dachte er und spürte, wie das Blut in seinen Schläfen klopfte.
    Stolz, ja, Stolz! Was ist denn daran falsch, wenn man stolz ist? Jedermann, der den Stolz verachtete, der verachtete sich selbst.

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