Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 01 - Der Fall von Akkon
Verlangen haben, das Gotteshaus umgehend wieder zu verlassen. Denn dies war kein Ort, der zu Andacht und Gebet einlud. Dies war vielmehr das unbestrittene Reich tiefer Schatten und modriger Luft. Gerolt war, als legte sich ein unsichtbarer Druck auf ihn, während er sich, mit der Hand am Schwertgriff, tiefer in den Kirchenraum hineinwagte. Sein wachsamer Blick irrte unruhig hin und her. Alles sah aus, als hätten die Bauarbeiter an einem schon weit zurückliegenden Tag plötzlich ihre Arbeit unterbrochen, alles stehen und liegen gelassen, Hals über Kopf das Weite gesucht und danach keinen Gedanken mehr daran verschwendet, jemals wieder an diesen Ort zurückzukehren und die Arbeit zu beenden. Denn überall lagen Werkzeug und Baumaterial herum. An mehreren Stellen fanden sich zwischen den Säulen, die teilweise noch eingerüstet waren, große und ungeordnete Berge von Bauschutt sowie große Tonnen und Kübel mit längst erstarrtem Mörtel. Man stieß aber auch auf Stapel ordentlich aufgeschichteter Bretter und Balken und sorgfältig aufgerollte Seile. Aber mehr noch als der Dreck und die Unordnung dieser verlassenen Baustelle machte den vier Rittern die trostlose Kahlheit der Kirche zu schaffen. Der nackte Altarraum, fern jeglicher priesterlichen Weihe, verschwand halb hinter einem von der Decke herabhängenden, löchrigen Vorhang aus schmutzigem Segeltuch. Das Auge fiel auch nirgendwo auf Bilder, Wandmosaiken, Heiligenstatuen, Kerzenleuchter oder irgendeine andere Art von Ausschmückung. Kirchenbänke suchte man ebenfalls vergeblich. Und was die Ritter am schmerzlichsten vermissten, war ein Kruzifix. Nirgendwo im Gotteshaus konnten sie auch nur ein einziges Kreuz entdecken. »Ein nicht gerade andächtig stimmender Ort für die Vesper oder irgendeine andere Gebetszeit«, bemerkte Maurice. »Was hat ein heiliger Mann an solch einer deprimierenden Stätte zu suchen, geschweige denn hier mit uns zu bereden?«
»Hier ist es ja sogar für ein heidnisches Begräbnis noch zu düs ter«, bemerkte Tarik. »Ja, als läge ein Fluch über dem Ort!«, entfuhr es McIvor mit beleg ter Stimme und er leckte sich nervös über die Lippen, die wie sein Mund vor innerer Anspannung ganz trocken geworden waren. Und er unterdrückte eine Verwünschung, als er neben einer noch eingerüsteten Säule mit dem Gesicht in ein Spinnennetz geriet. »Hier feiern allein Spinnen und anderes Getier Gottesdienst«, knurrte er und wischte sich die klebrigen Spinnweben angewi dert aus dem Gesicht. »Wo steckt denn nun Euer Abbé?«, rief Gerolt den Turkopolen un gehalten zu. Und er hatte keinen größeren Wunsch, als diesen beklemmenden Ort so schnell wie möglich verlassen zu können. »Habt noch einen Moment Geduld«, antwortete Bismillah, der indes sen mit seinem Bruder auf die äußere rechte Seite hinübergegangen war und dort zwischen zwei Säulen auf sie wartete. »Es hat schon al les seine Richtigkeit. Unser Meister wartet unten auf Euch.« Mit höchster Wachsamkeit begaben sich die Ritter zu ihnen auf die Ostseite des Kirchenbaus. Und dann bemerkten sie die von ei nem schweren Gitter gesicherte Treppe, die hinter Bismillah und Dschullab in die Tiefe führte. »Das dürfte die Treppe sein, über die man hinunter in die Krypta* gelangt«, raunte Maurice argwöhnisch. »Die Sache wird ja immer seltsamer! Ein bisschen zu seltsam für meinen Geschmack!« »Dann steigt hinunter und meldet eurem Abbé, dass wir hier sind!«, forderte Gerolt das blinde Brüderpaar barsch auf. Bismillah und Dschullab gingen voran und die Ritter mit Gerolt an der Spitze folgten ihnen mit sicherem Abstand. Die Treppe führte nicht auf geradem Weg in die Krypta hinunter, sondern wurde auf halber Strecke von einem Absatz unterbrochen und machte dahinter einen scharfen Knick nach links. Lichtschein fiel aus der Tiefe auf den Absatz und das letzte Dutzend Steinstufen. Und dann lag die Krypta vor ihnen. Gerolts Blick erfasste drei schlichte, steinerne Sarkophage an der hinteren Längswand, den weißhaarigen Templer in einem mit Leder bespannten Lehnstuhl neben einem eisernen Kohlenbecken, hinter ihm die beiden blinden Diener, vier im Halbkreis vor dem Greis aufgestellte Scherensessel – und nicht das geringste Anzeichen, dass sie etwas zu befürchten hatten. Es war kühl in der Gruft. »Sieht so aus, als hätten wir uns das Misstrauen und die ganze Aufregung sparen können«, murmelte Gerolt so leise, dass seine Freunde ihn gerade noch verstehen konnten. Der alte Templer erhob
Weitere Kostenlose Bücher