Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 01 - Der Fall von Akkon
geübten und gesunden Schwertkämpfer, der über die volle Sehkraft seiner Augen verfügte, wäre das eine be wundernswerte Meisterleistung gewesen. Aber im Zustand völliger Blindheit konnte man eine derartige Kunstfertigkeit nur als ein Wunder bezeichen. Und was ist, wenn gar keine göttliche Macht im Spiel gewesen ist?, fragte sich Gerolt plötzlich und erschauderte bei dem Gedanken. Konnte es sein, dass die beiden Blinden ihre außergewöhnlichen Künste womöglich dem Fürsten der Finsternis verdankten? Waren sie vielleicht vom rechten Glauben Abgefallene, die ihre Seele an den Leibhaftigen verkauft hatten? Er verwarf diese Befürchtung schon im nächsten Moment. Denn hatte ihr Meister, der weißhaarige Templergreis, in jener Nacht vor zwei Tagen nicht von einem göttlichen Zeichen gesprochen und dass sie alle zu seinem Dienst berufen seien? Er, Gerolt, konnte sich nicht mehr wortwörtlich an das erinnern, was dieser alte Mann bei ihrer kurzen Begegnung an der Festungsmauer von sich gegeben hatte. Aber es hatte nicht so geklungen, als wäre er mit den Mächten der Unterwelt im Bunde, sondern ein gläubiger Diener Gottes. Immerhin trug er auch den Templermantel. Es war Maurice, der sich schließlich ein Herz fasste und auszusprechen wagte, was ihn beunruhigte. Mit gedämpfter Stimme bekannte er seinen Ordensbrüdern: »Ich muss gestehen, dass es mir zehnmal lieber wäre, gleich einem geistig Verwirrten gegenübertreten zu müssen als jemandem, der Männer in seinen Diensten stehen hat, die zu solch unfasslichen Leistungen fähig sind!« »Du sprichst mir aus der Seele«, raunte Gerolt zurück. »Noch nie im Leben ist mir etwas so Unheimliches widerfahren!« »Seht doch nur, wie sie sich durch die Gassen bewegen!«, stieß McIvor hervor. »Sie stolpern nicht, stoßen nirgendwo an und erkennen jedes Hindernis auf ihrem Weg, egal, ob es eine Unebenheit in der Straße oder ein herumstehender Holzeimer ist!«
»Was wissen wir schon von Gottes Geheimnissen?«, murmelte Tarik. »Für die Ameise ist ein Nieselregen ein Wolkenbruch. Also warten wir ab, wer dieser heilige Meister der beiden Blinden ist und was er uns zu sagen hat.« »Kennt einer von euch überhaupt diese Kirche St. Joseph von Arimathäa, wo man uns erwartet?«, wollte McIvor wissen. Seine Kameraden schüttelten den Kopf. Keiner von ihnen hatte dieses Gotteshaus in der an Kirchen und Klöstern nicht gerade armen Stadt jemals betreten. »Ich glaube, ich bin mal in ihrer Nähe gewesen«, glaubte sich Gerolt zu erinnern, der von ihnen allen am längsten in Akkon weilte. »Und wenn ich mich nicht sehr täusche, handelt es sich um ein unscheinbares Gebäude, das auf dem Hügel ein wenig abseits der umliegenden Gassen liegt. Mir war auch so, als wären die Bauarbeiten an dieser Kirche schon vor langer Zeit eingestellt worden.« »Gleich werden wir mehr wissen«, sagte Maurice, als sie um eine Biegung kamen und sich der Montjoie mit der Klosteranlage von St. Sabas vor ihnen über den Dächern der Häuser erhob. Ihnen wurde immer unbehaglicher zumute, je näher sie dem Ort ihres Treffens mit dem Weißhaarigen kamen. Denn eine beunruhigende Frage nach der anderen stellte sich ein. Was hatten sie gleich zu erwarten? Weshalb wollte der greise Templer sie ausgerechnet in dieser abgelegenen Kirche sprechen? Warum hatte er, wenn es etwas zu bereden gab, das nicht vorletzte Nacht gleich an Ort und Stelle getan oder sich mit ihnen in der Stadtburg oder in ihrem Ordenshaus zusammengesetzt? Über welche geheimnisvollen Mächte gebot er? Und vor allem: Wer war dieser »heilige Abbé« überhaupt, den doch niemand ihrer Ordensbrüder zu kennen schien? Ihre blinden Führer verließen die Hauptstraße am Fuße des Hügels und schlugen nun den Weg ein, der dem Kloster entgegenstrebte. Als die Klosterpforte in Sicht kam, bogen sie hinter einem Gebüsch nach rechts in einen kleinen Pfad ein, auf dem Unkraut wuchs, sodass man ihn leicht übersehen konnte. Der schmale Trampelpfad führte in einem Abstand von gut fünfzig Schritten zur Klostermauer auf der Westseite um die Abtei herum, durchquerte dabei einen kleinen Zypressenhain und führte hinter den Bäumen hinunter auf einen ebenen Platz, der einen Teil der Südflanke des Hügels einnahm. Hier stand die Kirche St. Joseph von Arimathäa, abseits der Betriebsamkeit umliegender Viertel und zudem auch noch im Schutz von alten immergrünen Bäumen, die sich in ihrer Dichte wie eine natürliche Palisade ausnahmen. Nur die Eisenburg
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