Die Bruderschaft vom Heiligen Gral 01 - Der Fall von Akkon
man denn bei dem, was einem ständig durch den Kopf geht, noch ruhig schlafen?« Für einen Moment schauten sie schweigend über die Stadt hinweg, deren Befestigungsanlagen, aber auch deren Wohnviertel hinter den Wällen vom Dauerbeschuss der feindlichen Wurfmaschinen mittlerweile schwer gezeichnet waren. Noch weigerte sich Akkon, sich dem wütenden Ansturm der Mamelucken und ihrer Vasallen zu ergeben. Doch die Hoffnungslosigkeit griff unter der Bevölkerung schon um sich und wucherte wie ein bösartiges Geschwür, das immer mehr gesundes Fleisch mit seiner Fäulnis vergiftete. Und alle fragten sich in den Mauern der Stadt, wo denn nur der König mit dem versprochenen Entsatzheer aus Zypern blieb. Gerolt sah mit grimmiger Genugtuung, dass die von den Venezianern erbaute Schleuder auf dem Wehrgang ein Stück südlich vom Neuen Turm in Stellung gebracht worden war und den Beschuss mit gleicher Münze erwiderte. Diese war von allen Maschinen der Eingeschlossenen die wirksamste. »Die kleine Truppe aus Venedig kämpft wirklich tapfer. Wenn doch nur alle so mutig und entschlossen wären!«, murmelte Gerolt. »Ja, und verflucht sollen die feigen Hunde aus Genua sein, die hinter unserem Rücken einen Vertrag mit dem Sultan geschlossen haben und sich aus dem Kampf heraushalten!«, knurrte Maurice verächtlich. Erneut trat zwischen ihnen ein kurzes, gedankenschweres Schweigen ein. »Manchmal frage ich mich, ob wir das mit dem Abbé und seinen beiden Dienern wirklich erlebt haben«, sagte Gerolt schließlich. »Es kommt mir so unwirklich vor. Vor allem dass wir dazu berufen sein sollen, dieses heilige Amt anzutreten.« Maurice schüttelte den Kopf, als könnte auch er es noch immer nicht glauben. »Mein Gott, Hüter des Heiligen Grals und ein Leben, das sich nicht in Jahrzehnten, sondern Jahrhunderten bemisst! Wie soll man da nicht an seinem eigenen Verstand zweifeln? Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass ich einmal vor solch einer Entscheidung stehen würde! Dagegen nimmt sich doch alles andere, was ich bislang als ein Wagnis angesehen habe, wie harmloser Kinderkram aus!« »Und?«, fragte Gerolt gespannt. »Bist du schon zu einer Entscheidung gekommen? Ich meine, genug Zeit hat der Abbé uns ja gelassen. Immerhin sind jetzt schon zwei Wochen vergangen, ohne dass er uns wieder zu sich gerufen hat.« Maurice warf ihm ein ironisches Lächeln zu. »Was gibt es denn noch groß zu entscheiden, wenn einem ein derart langes Leben winkt? Bei zweihundert Jahren und mehr bin ich doch sofort da bei!« Er wurde jedoch augenblicklich wieder ernst. »Weißt du, es gibt Stunden, da bin ich mir meiner Sache ganz sicher und zweifle nicht daran, dass ich diesem Ruf folgen und Gralsritter werden muss. Aber dann wache ich in der nächsten Nacht plötzlich schweißgebadet auf und bin von einer abgrundtiefen Angst erfüllt, dass ich dieser ungeheuerlichen Aufgabe vielleicht doch nicht gewachsen bin. Was habe ich denn schon an besonderen Fähigkeiten und Leistungen aufzuweisen? Nichts, was besonderer Beachtung wert wäre. Und nun dies!« »Du sprichst mir aus der Seele, Maurice«, sagte da eine vertraute Stimme in ihrem Rücken. Es war Tarik, der hinter sie getreten war, ohne dass sie es bemerkt hatten. »Habe ich dich eben aus dem Schlaf geholt?«, fragte Gerolt. »Und ich dachte, ich hätte mich ganz leise aus dem Schlafsaal gestohlen.« Tarik schüttelte den Kopf. »Ich war schon längst wach, als du aufgestanden bist, und wusste bloß nicht, ob ich in dem Mief liegen bleiben und mich weiter schlaflos von einer Seite auf die andere wälzen sollte oder ob ich dem Elend ein Ende bereiten, noch einmal in die Kapelle gehen und im Gebet nach der richtigen Entscheidung forschen sollte. Aber dann habe ich weder das eine noch das andere getan, sondern bin dir einfach nach, Gerolt. Vielleicht wird es ja leichter, wenn wir das hier an der frischen Nachtluft noch einmal gemeinsam besprechen. Wenn ich euch an meiner Seite wüsste . . .« Er ließ den Satz offen. Maurice lachte leise auf. »Es scheint uns allen gleich zu ergehen. In der Kapelle war ich nämlich schon und McIvor auch. Er ist übrigens noch immer da.« »Vielleicht findet er sich ja auch noch hier ein«, sagte Gerolt. »Bestimmt«, versicherte Maurice. »Ich habe ihm nämlich gesagt, dass ich hier oben sein werde, und er hat versprochen, in einigen Minuten nachzukommen.« McIvor ließ dann auch nicht lange auf sich warten. Wenig später gesellte er sich zu ihnen. Und eine ganze Weile
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