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Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)

Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)

Titel: Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Hair
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wollt.« Cera deutete auf eine Büste ihres Vaters. »Eins von König Olfuss’ Lieblingssprichwörtern lautete: Wahrheit ist Wahrnehmung. Das bedeutet: Was immer Ihr glaubt, wie richtig oder falsch es auch sein mag, es ist Eure Wahrheit, beeinflusst und geformt von allem, was Euch ausmacht, was Ihr erlebt habt, von Geschlecht, Herkunft, Religion und Geschichte. Wenn Gottessprecher Acmed Euch also erklärt, dass die Jhafi die Nesti nicht lieben, dann sagt ihm nicht, sie täten es doch! Hört ihn an und fragt Euch: Weshalb ist das ihre Wahrheit? Was kann ich daraus lernen?«
    Der ganze Raum verstummte, nur Elena zitterte. Es war, als würde Olfuss Nesti von jenseits des Grabes durch seine Tochter sprechen.
    Cera musterte die Anwesenden und beobachtete ihre Reaktionen: Pita Rosco, der noch nicht viel gesagt hatte, nickte bedächtig. Luigi blickte finster drein, Lorenzo und Harshal warfen sich verständnisvolle Blicke zu.
    Rosco rieb sich das fleischige Kinn und erhob schließlich das Wort. »Was wäre es also, das Nesti und Jhafi vereinen könnte, Gottessprecher? Was ist der Preis?«
    Acmeds Augen verengten sich. »Ihr sprecht wie ein Mann des Geldes, Meister Rosco. Aber ich spreche nicht von Geld. Ich spreche von Glauben und Brüderlichkeit, von Gleichheit vor dem Gesetz und vor Ahm. Wir wurden schon einmal mit Gold gekauft, aber das Gold findet immer wieder den Weg zurück in die Börsen der Rimonier. Uns wurde Land geschenkt, das seit jeher uns gehört, das zu verschenken Euch niemals zustand. Rimonische Geschenke haben immer einen Preis! Was Nesti und Jhafi vereinen kann, muss etwas viel Tieferes sein, und obwohl es bei den Herrschenden beginnen muss, muss es auch die einfachen Leute erreichen. Lasst die Nesti den Glauben der Amteh annehmen. Lasst die Prinzessin einen Jhafi-Prinzen heiraten und ihm Amteh-Kinder gebären. Lasst die Rimonier ihre Geheimnisse über Wein und Oliven und Minen preisgeben, die sie so reich machen! Lasst das Brot der Rimonier die armen Jhafi speisen. Lasst das Eisen aus Euren Minen einen Weg in die Waffenkammern der Emire finden. Gebt beschlagnahmtes Land zurück, oder verkauft es wenigstens zu einem gerechten Preis. Und lasst Rimonier und Jhafi sich der Blutfehde unserer Brüder in Kesh anschließen und die Eindringlinge vertreiben. Dies sind die Dinge, die die Herzen der Jhafi gewinnen und endlich ein geeintes Volk aus uns machen würden.«
    Cera schnitt ihren Beratern das Wort ab, noch bevor diese den Mund öffnen konnten. »Wartet, meine Herren, nur eine Minute. Denkt nach über das, was der Gottessprecher gesagt hat, und dann lasst mich Eure wohlüberlegte Einschätzung hören, nicht Eure spontanen Reaktionen.«
    Elena fragte sich, wohin die kleine sanftmütige Princessa verschwunden war. Cera gebärdete sich wie eine Senatorin des alten Rym, nicht wie eine minderjährige Jungfrau. Doch dieser Teil ihrer Persönlichkeit war schon immer da gewesen, hatte sich gezeigt in der Art, wie sie ihre Geschwister herumkommandiert hatte, und darin, wie sie stets jedes Wort ihres Vaters in sich aufgesaugt hatte. Stundenlang hatte sie mit Elena im Blutturm über die Ungerechtigkeit der Welt gesprochen, umgeben von den Schriftrollen der Philosophen und den Texten der rimonischen Senatsreden, von religiösen Traktaten und Abhandlungen über die großen Herrscher. Sie war immer schon eine Denkerin. Ich habe nur nie begriffen, dass sie auch eine Führerin sein könnte. Und ich wette, wenn es so weit kommt, wird sie die Führung nicht mehr aus der Hand geben wollen …
    Sobald die Minute vorbei war, hob Comte Inveglio die Hand. »Dass wir den Jhafi Waffen und Rüstungen geben, ist ausgeschlossen. Was unsere Minen produzieren, ist die Grundlage unserer Macht. Wir haben sie entdeckt, und wir beuten sie aus. Unsere Soldaten müssen eine überlegene Ausrüstung haben, um unsere zahlenmäßige Unterlegenheit zu kompensieren. Ausgeschlossen! Es wäre reiner Selbstmord!« Er schaute den Gottessprecher düster an.
    »Der Glaube der Menschen kommt aus ihrem Herzen«, erklärte Drui Prato sanft. »Alle Nesti-Kinder wachsen mit beiden Religionen auf, doch sie beschließen, Sollaner zu bleiben, weil es das ist, was ihre Herzen ihnen eingeben.« Eine Spur von Überheblichkeit stahl sich in sein Lächeln. »Ich habe selbstverständlich nichts dagegen, wenn sie in beiden Religionen unterrichtet werden, aber es muss ihnen freistehen, eine freie Wahl zu treffen.«
    Pita Rosco runzelte die Stirn. »Ich sehe keine

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