Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
getötet oder gefangen genommen. Hunderte wurden zu Witwen gemacht und meine Schwester zur Gespielin von Fernando Tolidi. Sollte er sie heiraten, könnte er rechtmäßigen Anspruch auf die Regentschaft erheben.«
Comte Inveglio beugte sich nach vorn. »Gestattet mir, Princessa: Würdet Ihr ebenfalls heiraten, wäre selbst eine Verbindung Eurer Schwester mit Tolidi hinfällig.« Inveglio hatte selbst einen Sohn, der als Thronanwärter infrage kam. »Euer Gemahl wäre Pater-Familia und damit Regent, bis Timori das nötige Alter erreicht. Wenn sie also heiratet, solltet Ihr das auch tun.« Er breitete gönnerhaft die Arme aus. » Simplicio! «
»Ich nehme an, Ihr würdet einen Eurer Söhne als Gemahl vorschlagen, Piero?«, warf Luigi Ginovisi ein und löste damit einen Sturm aus Kommentaren aus.
Cera versuchte, für Ruhe zu sorgen, und hob die Hand. Die Männer bemerkten sie erst, als sie auf den Tisch schlug.
»Meine Herren! Ihr mögt so viel streiten, wie Ihr wollt, aber ich fordere Ruhe, wie auch mein Vater es getan hat!« Sie blickte funkelnd in die Runde, und alle baten unterwürfig um Verzeihung. »Heirat und Krieg sind Dinge, die man niemals überhastet angehen sollte, wie mein Vater immer sagte. Ich bin derselben Meinung. Ich brauche nicht zu heiraten, denn ich bin Solindes ältere Schwester, und sie ist noch nicht volljährig. Ohne meine Zustimmung wäre ihre Hochzeit unrechtmäßig. Da Alfredo Gorgio behauptet, die wahren Cera und Timori Nesti seien tot, ich und mein Bruder seien nur Hochstapler, würde auch eine Heirat meinerseits nicht viel an der Situation ändern.«
Alle nickten.
»Was wir tun müssen, ist, Brochena zurückzuerobern. Die Gorgio bewohnen den Königspalast. Damit werfen sie uns den Fehdehandschuh direkt ins Gesicht. Vor sechs Jahren ließ mein Vater das Banner der Dorobonen vom königlichen Hof entfernen. Möchtet Ihr es wieder gehisst sehen?«
Die Anwesenden schnaubten wütend und ballten die Fäuste.
»Heirat und Krieg sind Dinge, die man niemals überhastet angehen sollte, sagt die Prinzessin«, wiederholte der Gottessprecher. »Das sind die Worte des Kalistham. Euer Vater muss sie dort gelesen haben. Und ich stimme zu: Ihr solltet nicht voreilig heiraten. Zumindest nicht in solcher Hast, dass Ihr nicht auch andere Freier in Erwägung zieht als Comte Inveglios Sohn. Es gibt viele junge und starke Prinzen unter den Jhafi, weit mehr Schwerter könnten gewonnen werden, als ein Inveglio Euch geben könnte. Ihr wart lange genug Jungfrau, Prinzessin. Es ist Zeit für Euch, zur Frau zu werden, um Eures Königreichs willen.«
Cera war nicht gerade wohl dabei, ihre Jungfräulichkeit in dieser Runde erörtert zu sehen. »Ich wiederhole: Ich werde nicht übereilt heiraten, egal wen, egal welcher Herkunft. Ich bin kein Pokal, den es zu erringen gilt. In dieser Besprechung geht es um militärische Lösungen für ein militärisches Problem. Haben das jetzt alle verstanden?«
Der adlergesichtige Gottessprecher sah verärgert aus, aber Cera sprach unbeirrt weiter: »Seir Luca, wie sehen die Zahlen aus?«
Luca zupfte an seinem Bart. »Princessa, die Nesti verfügen über ein stehendes Heer von etwa eintausend Speerträgern, falls nötig, können wir das Siebenfache aufbringen. Die Stadtwache von Brochena hat sich im Hintergrund gehalten, als die Gorgio angriffen. Wem sie treu sein werden, ist schwer zu sagen. Zumindest ihre Offiziere müssen von Gyle gekauft worden sein, bevor seine Magi zuschlugen.« Er warf Elena einen vernichtenden Blick zu. »Und dennoch sehe ich eine von ihnen in dieser Runde.«
»Was wollt Ihr damit sagen, Seir Luca?«, fragte Elena aufgebracht in die entstandene Stille.
Der altgediente Ritter blickte ihr fest in die Augen. »Eure ›Kollegen‹ haben unseren König getötet. Rutt Sordell fungiert als Alfredo Gorgios rechte Hand. Und Ihr seid hier mitten unter uns, genauso wie Sordell stets bei König Olfuss war.« Er deutete drohend mit dem Finger. »Wusstet Ihr, was sie geplant hatten, Dona Elena?«
Alle Augen richteten sich auf sie. Elena holte tief Luft und breitete beschwichtigend die Hände aus. »Eure Frage ist berechtigt. Immerhin stand ich im Sold des Feindes. Doch ich betone: stand . Ich wusste genauso wenig wie alle anderen in diesem Raum, was kommen würde. Und ich schwöre Euch: Nie und nimmer hätte ich für möglich gehalten, was er getan hat.«
»Er?«, fragte Comte Inveglio. »Wer ist er?« Selbst verständlich kannte er die Antwort.
»Gurvon Gyle,
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