Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
Comte.«
»Euer früherer Dienstherr?«, fragte er rein rhetorisch weiter.
»Wie Ihr bereits wisst.«
»Und Euer Liebhaber«, fügte er hinzu.
Leises Zischen erhob sich in der Runde, und Elena spürte, wie sie rot wurde, obwohl sie mit genau dieser Frage gerechnet hatte. »Nein, das ist lange her.«
»Lange her, sagt Ihr? Wann seid Ihr zuletzt bei ihm gelegen?«
»Vor einem Jahr oder mehr. Er hat eine andere, und, offen gestanden, sie kann ihn gerne haben, den verlogenen Mistkerl.«
»Wusste König Olfuss von Eurer Verbindung?«
»Wahrscheinlich. Ihr wusstet es ja auch«, erwiderte Elena trocken. »Aber ich wusste nicht das Geringste von den geplanten Angriffen. Warum habt Ihr es nicht kommen sehen?«
»Vielleicht weil niemand es mir nachts im Bett zugeflüstert hat?«, erklärte der Comte. »Ihr seid noch hier, Dona Elena, wie wir alle sehen können, und ich weiß, Ihr habt Samir Taguine getötet. Doch woher soll ich wissen, dass er nicht ein Bauernopfer in Eurem Ränkespiel ist? Woher wissen wir, dass es keine List war, um unser Vertrauen zu gewinnen und uns dann erneut zu verraten? Ich halte Gurvon Gyle für einen der gerissensten Männer auf ganz Urte, ein solcher Plan wäre typisch für ihn. Welche Garantie haben wir also, dass Eure Anwesenheit hier nicht von vornherein von ihm geplant war?«
Er blickte in die Runde, viele Köpfe nickten, manche verhalten, andere eifrig.
Ceras Gesicht war angespannt. »Ella hat mir das Leben gerettet und Lorenzo und Timi ebenfalls – ich habe es mit eigenen Augen gesehen!«, schrie sie, und Lorenzo bestätigte eifrig. »Das ist Zeitverschwendung, Comte. Ich vertraue Ella, und Ihr solltet es ebenfalls tun. Sie hat alles aufgegeben, was sie besaß, als sie uns zur Seite stand. Sie hat ihr gesamtes Vermögen verloren, weil sie mich und meinen Bruder beschützt hat. Sie verdient unser Vertrauen, und meines hat sie.«
Inveglio runzelte die Stirn. »Sie hat ihr gesamtes Vermögen verloren? Soweit ich weiß, obliegt es der treuhänderischen Verwaltung ihres angeblich ehemaligen Liebhabers. Manchmal kann das, was verloren ist, leicht zurückerlangt werden.«
Elena schlug mit der Faust auf den Tisch. »In Ordnung. Ich lasse die Wächter hier und werde den Raum jetzt verlassen. Wenn jemand meinen Rat wünscht, wie unsere Feinde einzuschätzen sind und was zu tun ist, lasst nach mir rufen. Wenn Ihr mir nicht vertraut, schmiedet Eure eigenen Pläne. Ich stehe in Diensten von Cera und Timi. Ihr anderen mögt tun, was Ihr wollt.«
»Bleibt«, befahl Cera. »Ich bin die Regentin. Ich bestimme, wer bleibt und wer nicht. Ihr habt mir die Treue geschworen, und ich sage: Ihr bleibt.« Mit funkelnden Augen blickte Cera in die Runde, ganz die Tochter ihres Vaters. »Ihr alle müsst eins begreifen: Dona Elena ist meine persönliche Beschützerin. Ohne einen Magus im Raum würde dieses Treffen niemals geheim bleiben. Erinnert Euch daran, weshalb mein Vater überhaupt Magi in seine Dienste genommen hat! Wenn Elena nicht hier ist, können wir ebenso gut Alfredo Gorgio einladen, sich zu uns zu gesellen.« Sie sah Elena ernst an. »Gestern Nacht hat Elena Anborn vor Drui Prato und Gottessprecher Acmed dem Haus Nesti die Treue geschworen, unter hochheiligen Bluteiden vor Sol und Ahm. Sie untersteht jetzt meinem Befehl und meinem allein. Ich bin es, die darüber entscheidet, wer um ihre Hand anhalten darf, und ich bin es, die ab jetzt ihr Vermögen verwaltet. Haben das nun alle begriffen? Ella gehört zu uns, bis in den Tod.« Sie deutete auf die blutigen Abdrücke auf Elenas Wangen. »Soll sie die Schwüre noch einmal ablegen, hier in dieser Runde?«
Murmelnd schüttelten die Männer die Köpfe.
Cera bedeutete Elena, sich wieder zu setzen, und Inveglio nickte ihr unmerklich zu. Gut gemacht . Alles war so gelaufen, wie sie beide es zuvor gemeinsam geplant hatten: Wenn sie den Nesti beistehen sollte, mussten alle Zweifel an ihrer Loyalität restlos ausgeräumt werden. Ihre Gedanken wanderten zurück zur letzten Nacht, zu der Kapelle, zu dem Räucherwerk und dem Messer, das ihre Handflächen aufgeschnitten hatte. Ich gebe mein Leben den Nesti . Die Entscheidung war ihr nicht schwergefallen. Elena hatte sie praktisch schon getroffen, als sie beschloss, Samir aufzuhalten. Und doch hatte sie so etwas wie religiöse Entrückung verspürt, als sie ihr Blut in den Familienkelch der Nesti schüttete und beobachtete, wie Cera davon trank und sie dann auf beide Wangen küsste. Für Rimonier gab es
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