Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
keinen heiligeren Schwur. Jetzt noch an Elena zu zweifeln, war, als würde man an Sol selbst zweifeln.
»Gut. Kein Wort soll mehr über diese Angelegenheit verloren werden«, erklärte Cera und wandte sich an Harshal. »Harshal, Ihr habt mit den Emiren gesprochen. Wie nehmen die Jhafi den Tod meines Vaters auf?«
Harshal wackelte nervös mit dem Kopf. »Selbstverständlich sind sie betroffen. Sie befürchten, die Dorobonen könnten zurückkehren und dafür sorgen, dass Javon sich in der Blutfehde neutral verhält. Das bereitet ihnen Sorgen. Die Stämme der Harkun reden davon, sich zu erheben und die Rimonier zu vertreiben. Alle ohne Ausnahme. Die Nomaden machen keinen Unterschied zwischen Nesti, Kestria, Gorgio und den anderen rimonischen Häusern.«
Den anwesenden Nesti-Beamten platzte der Kragen. »Dieses Land war nichts als unfruchtbare Wüste, bevor wir gekommen sind! Bevölkert von ein paar versprengten Nomaden, die sich um die wenigen Wasserlöcher stritten!«, schnaubte Ginovisi. »Es gab keinen Wohlstand, nichts! Wir haben die Olivenhaine angepflanzt und die Weinberge, wir haben die Bodenschätze entdeckt und die Minen gebaut! Dieses Land gedeiht nur durch unsere Arbeit und unseren Schweiß.« Viele nickten.
Harshal blickte ihn nachdenklich an. »Bei allem Respekt, Herr, dies sind genau die Worte, die den Zorn meines Volkes entfachen. Ihr redet, als hätte es hier nichts gegeben, bevor Ihr kamt. Doch die Städte in Ja’afar sind jahrhundertealt. Nicht Ihr wart es, die unsere Tempel erbaut haben und die Paläste der Emire. Der Wohlstand, von dem Ihr sprecht, erreicht nur selten das Volk der Jhafi, und das, obwohl es unsere Männer sind, die in Euren Minen und Weinbergen und Olivenhainen arbeiten. Es herrscht Waffenruhe zwischen uns, einige Adelshäuser sind miteinander verheiratet, aber die meisten Jhafi haben wenig zu tun mit den Rimoniern. Wir sind getrennte Völker, die lediglich dasselbe Land bewohnen.«
Ein weiterer Ausbruch, diesmal etwas verhaltener, und ein weiteres Mal musste Cera mit der Hand auf den Tisch schlagen, um für Ruhe zu sorgen. Sie erteilte dem Gottessprecher das Wort.
Acmed bedankte sich mit einem mürrischen Nicken und strich sich mit der Hand über den langen Bart. »Auch ich habe nach den Gebeten eingehende Gespräche mit meinen Leuten geführt. Wir teilen Eure Trauer, edle Dame. Unsere Anteilnahme und unsere Wut über die Ermordung Eurer Eltern sind aufrichtig. Eure Tante war eine Jhafi, von allen geliebt und respektiert. Wir erinnern uns noch gut an die unrechtmäßige Herrschaft der Dorobonen und sind vom selben Geiste wie Ihr. Doch wünschen wir, zwei Dinge von Euch zu erfahren: Was ist mit der Blutfehde? Euer Vater hatte sich ihr noch nicht verschrieben, bevor er ermordet wurde. Und, was noch viel wichtiger ist: Wann werden die Rimonier sich endlich mit uns Jhafi vereinen?« Er hob die Hand, um jegliche Einwände von vornherein abzuwehren. »Oh ja, Ihr befolgt den Schlichtungsvertrag des Gurus und geht Mischehen ein, aber stets stellen die Rimonier dabei den höherrangigen Partner. Ihr nehmt Euch eine Adlige vom Volk der Jhafi und macht eine Rimonierin aus ihr, damit die Kinder aus der Verbindung sich um das Königsamt bewerben können. Aber Ihr selbst bleibt Sollaner, und die Frau muss zu Eurem Glauben konvertieren. Eure Sitten und Gebräuche sind die Rimonis. Ihr nehmt nur an unseren religiösen Feierlichkeiten teil, wenn Ihr müsst, und danach lauft ihr zu Euren Drui, um Euch reinwaschen zu lassen. Was Ihr tut, sind nichts als Lippenbekenntnisse.«
Er ignorierte das Gemurmel am Tisch und fuhr mit ernster Stimme fort: »Ihr hortet Euren Reichtum, statt ihn zu verteilen. Es gibt keine armen Rimonier, während es unter den Jhafi keine Reichen gibt, es sei denn, sie gehören einem Herrscherhaus an. Euer Gesetz verbietet es den meisten Jhafi, bei der Königswahl abzustimmen. Ihr ersucht uns um Hilfe, wenn Ihr verzweifelt seid, doch tut Ihr nichts, um diese Hilfe zu verdienen, und deshalb fragen wir: Warum sollten wir Euch helfen?«
Ein regelrechter Tumult brach aus, und Cera brüllte entschlossen dazwischen: »Silencio! Silencio!« Ihre Augen leuchteten vor Entrüstung. »Meine Herren, bewahrt gefälligst Ruhe und denkt nach, bevor Ihr das Wort ergreift. Hört auf, Euch stets und als Erstes angegriffen zu fühlen. Ich habe Gottessprecher Acmed gebeten, zu uns zu kommen, weil es an der Zeit ist, über genau diese Fragen zu sprechen – über die, die Ihr nicht hören
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