Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
wurden in Bekiras gehüllt, dann verschwanden Träger mit den drei Überlebenden in dem nach Abfall, Fäkalien und Schweiß stinkenden Labyrinth der Jhuggis. Der Rauch der Kochfeuer löste bei Elena krampfartige Hustenanfälle aus.
Unterdessen trugen die anderen Sordells und Vedyas Leichen unter Triumphgeschrei durch die Straßen. Wild fuchtelten sie mit den Waffen, die sie aus ihren Verstecken hervorgeholt hatten, Trommeln erschallten, das Licht der Fackeln spiegelte sich blutrot in Säbeln und Messern. Sie marschierten zum Dom-al’Ahm, wo Mustaq al’Madhi, umgeben von seinen Kämpfern, sie erwartete. Sie hatten Fleischerhaken dabei, um die Leichen der verhassten Magi daran aufzuhängen.
Mustaqs mitleidloses Gesicht strahlte vor Freude, und Elena brach unter seinem anerkennenden Schulterklopfen beinahe zusammen. »Eine ruhmreiche Nacht, Dame Elena!«, brüllte er triumphierend. »Fünf Shaitans weniger! Eine Schande, dass nicht auch Gyle hier war, um die bittere Niederlage zu schmecken.«
Wäre Gurvon hier gewesen, hättet Ihr jetzt keinen Grund zum Jubeln , dachte Elena wie betäubt. Laut sagte sie: »Bringt mir Pergament, damit ich es an die Leichen hängen kann.«
Ihre Stimme war so gebrochen, dass es selbst al’Madhi auffiel. »Seid Ihr verletzt, edle Dame?«
»Nichts Bleibendes, Mustaq. Macht Euch keine Sorgen. Ich werde bald geheilt sein.«
Er blickte sie misstrauisch an und machte einen halben Schritt zurück, blieb aber höflich. »Ihr habt Großes für uns geleistet«, erklärte er. »Wir werden uns um Euch kümmern. Nehmt, was immer Ihr braucht. Ahms Segen sei mit Euch.«
Soweit ich weiß, ist Ahm nicht gerade ein Freund der Magi . Trotzdem verneigte Elena sich dankbar. »Ich werde die Princessa mitnehmen«, sagte sie. »Sie muss zur Königin-Regentin gebracht werden.«
»Und vor Gericht gestellt werden«, fügte Mustaq wütend hinzu. »Sie hat auf ihrer Seite gestanden.« Er spuckte aus.
»Und vor Gericht gestellt werden«, wiederholte Elena.
Die Soldaten der Gorgio blieben innerhalb der inneren Stadtmauern, aber die Zinnen wurden mit Wachposten bemannt, die mit wachsamen Augen verfolgten, wie sich der Jubel der Jhafi ausbreitete wie ein Buschfeuer. Die ganze Nacht hindurch hallten die Trommeln und die Gesänge durch die Jhuggis.
»Kommt, kommt und feiert mit uns«, riefen sie immer wieder hinauf.
»Eure Magi sind tot, wollt ihr nicht ein bisschen um sie trauern? Dann kommt morgen zum Dom-al’Ahm! Tod den Gorgio, lang leben die Nesti!«
Einige der Wachposten standen kurz davor, einen Ausfall zu machen, aber die harschen Kommandos der Offiziere hielten sie zurück.
Bei Anbruch der Dämmerung lag der äußere Ring der Stadt unter dicken Rauchschwaden. Alfredo Gorgio höchstpersönlich kam auf die Mauer und blickte hinaus auf die Stadt. Was er sah, erschütterte ihn sichtlich, und wenig später riegelten die Soldaten die Innenstadt komplett ab. Brochena lag da wie gelähmt.
Während der nächsten Tage verkroch Elena sich in Mustaq al’Madhi’s Haus. Die meiste Zeit schlief sie. Wenn sie wach war, konzentrierte sie all ihre Kraft darauf, sich zu heilen, vor allem das gebrochene Handgelenk, damit es wieder voll belastbar wurde. Der Spiegel zeigte ihr, wie sie als alte Frau aussehen würde. Gar nicht mal so übel, wie sie fand: ein hageres Gesicht, aber erhaben und schön geschnitten. Trotzdem musste sie weinen. Ihr Haar war grau, doch an den Wurzeln wuchs es bereits blond nach. Elena nahm eine Schere und schnitt es bis fast auf die Kopfhaut zurück. Es sah eigenartig aus, war aber immer noch besser, als auszusehen wie siebzig. Ich werd einfach sagen, das trägt man jetzt so.
Dann machte Elena sich daran, wieder die Frau zu werden, die sie gewesen war. Die Tage vergingen, und allmählich kehrte ihre Lebenskraft zurück. Es würde Monate dauern, bis sie sich vollkommen erholt hatte. Sie hatte immer noch tiefe Falten im Gesicht, der gnostisch beschleunigte Haarwuchs war von einem helleren Blond und von silbernen Strähnen durchzogen. Als die Haut sich zu schälen begann, sah Elena ein paar Tage lang furchtbar aus, doch die Haut darunter war glatt und schimmernd. Trotzdem: Sich von einem Geisterbeschwörer halb umbringen zu lassen würde sie niemandem als Schönheitskur empfehlen.
Lorenzo hielt sich von ihr fern. Elena hätte ihm gerne geholfen, aber er wollte sie nicht sehen, also konzentrierte sie sich auf Solinde. Einen Tag nach ihrer Rettung kam die Princessa wieder zu sich, aber sie
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