Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
dem Kamin bequem und wartete auf eine Antwort.
»Keine Ahnung. Ich bin erst achtzehn.«
»Die meisten Jungen sind in deinem Alter bereits verheiratet und haben Kinder, Alaron.«
»Tja, das steht jetzt wohl kaum noch zur Debatte, oder?«, erwiderte Alaron mit einem Schlucken, doch sein Vater zog gemütlich an seiner Pfeife, als habe er vor, so lange zu warten, bis seinem Sohn etwas eingefallen war. »Mein ganzes Leben dachte ich, ich würde Magus werden – ich kann nichts anderes werden. Aber der Rat – das Arkanum – sagt, ich darf nicht, ich bin nicht würdig. Dabei war ich gut in den Abschlussprüfungen, Pap. Ich habe einen Bronzestern bekommen, das haben sie selbst gesagt – und dann haben sie mich durchfallen lassen! Meine Abschlussarbeit war gut, was auch immer sie behaupten. Auf jeden Fall so gut, dass sie meine Unterlagen gestohlen ha…«
»Was?« Vann beugte sich vor.
»Ich wollte es dir eigentlich schon länger erzählen: Jemand hat alle Unterlagen gestohlen, die ich für meine Abschlussarbeit gesammelt hatte, gleich nach der Präsentation …«
»Aus unserem Haus? Warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Weiß nicht. Es schien mir irgendwie nicht mehr wichtig. Nicht nachdem ich durchgefallen war.«
»Du glaubst, es ist egal, wenn dir jemand während der Prüfungen deine Unterlagen stiehlt? Da täuschst du dich, Alaron, und zwar gewaltig. Wir müssen das sofort Hauptmann Muhren …«
»Nein, bloß dem nicht!«
»Was meinst du mit ›bloß dem nicht‹? Jeris Muhren ist mein Freund, und er ist Hauptmann der Stadtwache. Wenn irgendjemand diese Dinge wiederfinden kann, dann er. Vielleicht wird deine Sache dann neu bewertet. Ich werde gleich morgen …«
»Nein, Pap, bitte.« Alaron begann, Vann davon zu erzählen, wie Muhren seine Abschlussarbeit in Grund und Boden geredet hatte und wie er Eli Besko das Nasenbein gebrochen hatte. Aus irgendeinem ihm jetzt unerfindlichen Grund hatte er Vann davon ebenfalls noch nichts erzählt. Und nachdem er einmal angefangen hatte, war der Wortschwall nicht mehr zu stoppen. »Ich wollte als Schlachtmagus am nächsten Kriegszug teilnehmen, Pap. Ich wollte berühmt werden, ich wollte Respekt. Sieben Jahre lang hab ich mich von diesen hochwohlgeborenen Drecksäcken beschimpfen lassen. Malevorn Andevarion ist das gehässigste Schwein in ganz Urte, und er hat einen verdammten Goldstern bekommen. Francis Dorobon kann nicht mal einen Mäusezoo bändigen, geschweige denn ein ganzes Königreich, und Seth Korion ist ein jämmerlicher Waschlappen. Wieso kriegen die alles, wenn sie eigentlich nichts verdient haben?« Bittere Tränen der Verzweiflung stiegen Alaron in die Augen. Er spürte, wie sein Vater die Arme um ihn legte. Wie ein Kind hielt er sich an Vann fest, bis er sich irgendwann stark genug fühlte, wieder loszulassen. »Was soll ich bloß tun, Pap?«, flüsterte er.
Vann betrachtete das Amulett, das sein Sohn immer noch umklammert hielt, dann wanderte sein Blick zu seiner erloschenen Pfeife. Er legte sie aufs Kaminsims. »Du musst tun, was immer du für das Richtige hältst, Alaron. Was das ist, kann ich dir nicht sagen. Ich bin ein Soldat, der sich in eine Magusfrau verliebt hat. Ich bin vollkommen unvorbereitet in diese Ehe gegangen, und noch viel weniger war ich darauf vorbereitet, ein Maguskind großzuziehen. Ich liebe dich, aber wie du dein Leben führen sollst, kann ich dir nicht sagen. Weil ich es nicht weiß. Was ich jedoch weiß, ist: Was sie mit dir gemacht haben, ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Ich wusste von der Sache mit Besko. Harft hat’s mir erzählt. Aber dann noch dieser Diebstahl, das schlägt dem Fass den Boden aus, und deshalb will ich mit Jeris Muhren über die Sache sprechen. Er ist ein guter Mensch, egal was er über deine Abschlussarbeit gesagt haben mag. Du wurdest um dein Geburtsrecht betrogen, Alaron. Ich kann es nicht ungeschehen machen, aber ich werde dagegen ankämpfen mit allem, was in meiner Macht steht. Weil ich dich liebe. Und was du für dieses Mädchen getan hast – ich bin so stolz auf dich, wie du es dir nicht einmal vorstellen kannst. Sie hat dir ein Geschenk gemacht, um es dir zu danken, und wer würde ein solches Geschenk verschmähen? Nimm es an, Alaron. Und wenn du deshalb ein Gesetzloser bist und von hier fliehen musst, bist du immer noch mein geliebter Sohn und wirst es immer sein.«
Es war alles zu viel. Alaron brach in Tränen aus, als sei es für immer.
Mitten in der Nacht wachte er neben dem Kamin
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