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Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)

Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)

Titel: Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Hair
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Kazim darauf, dass er selbst das größte Stück bekam. Ich bin der Krieger in unserer Gruppe. Ich muss bei Kräften bleiben.
    Während der folgenden Tage hatten sie nur das bisschen Brot zu essen, das sie von den einheimischen Bauern erbetteln konnten. Die Soldaten zogen sofort ihre Säbel, wenn jemand sich auch nur in die Richtung der Proviantwagen wandte. Ein paar Männer hatten aus alten Ziegeln einen behelfsmäßigen Dom-al’Ahm errichtet, gerade mal hüfthoch mit umgedrehten Tonschüsseln als Kuppeln. Dort leiteten Haroun und andere Schriftenschüler die Gebete an. Sie beteten für den Sieg über die Ungläubigen, doch viel lauter waren die Gebete um Essen.
    Dann kamen weitere Wagen. Anfangs waren es nur drei pro Tag gewesen, und die meisten der freiwilligen Kämpfer hatten die Kichererbsensäcke nicht einmal zu sehen bekommen, geschweige denn etwas zu essen. Doch mit den zusätzlichen Wagen reichte es zumindest, um den schlimmsten Hunger zu stillen. Immer mehr Männer desertierten – manche sprachen sogar davon, das Lager der Soldaten zu stürmen, aber alle wussten, dass das reiner Selbstmord war. Also blieb ihnen nichts übrig, als zu beten und sich mit dem zufriedenzugeben, was sie hatten.
    Nach einer weiteren Woche verzweifelten Kampfes ums Essen kam der Hauptmann, der Kazim ins Gesicht getreten hatte, mitten ins Lager geritten. Es gab keine Latrinengruben und so wenig Wasser, dass es gerade zum Trinken reichte. An waschen war nicht zu denken. Viele der Männer waren krank, es stank nach Urin und Fäkalien. Mit gerümpfter Nase verkündete der Hauptmann, dass der Marsch nach Norden nun fortgesetzt werden würde. »Ruhm erwartet euch!«, brüllte er und ließ höhnisch den Blick über die halb verhungerten Freiwilligen wandern.
    »Das sind Prüfungen, die Ahm uns auferlegt«, erklärte Haroun heiser. »Nur wer leidet, wird ins Paradies eingehen.« Auch er war vor drei Tagen krank geworden, und seine Augen waren gelb.
    Marschieren war zumindest besser als das ständige Warten. Jeder Hof, an dem sie vorbeikamen, wurde geplündert. Töchter wurden vergewaltigt oder geraubt, und dann zwangen die Soldaten die Bauern auch noch, für die Kolonne zu kochen. Wer Widerstand leistete, wurde auf eine Lanze gespießt und seine Leiche am Straßenrand öffentlich zur Schau gestellt. Mit jedem Schritt wurde Kazims Hass größer. Dies ist die Fehde! , schrie es in seinem Kopf, und trotzdem dachte er mindestens tausendmal daran umzukehren. Aber er konnte nicht. Er durfte Ramita nicht im Stich lassen. Also richtete er seinen Hass auf die Soldaten, vor allem auf Jamil, den Hauptmann, der ihn so fürchterlich erniedrigt hatte. Jedes Mal, wenn der Kerl ihn erblickte, grinste er Kazim spöttisch an und tat, als würde er an einem Hühnerschenkel knabbern. Seine Soldaten bewunderten ihn, aber für Kazim war er Shaitan selbst.
    Von den endlosen Meilen Sand, durch die sie marschierten, bekam er kaum etwas mit. Der Durchfall suchte sie heim. In langen Reihen kauerten die Männer am Rand der Straße und kackten dünnflüssige Brühe. Nur mit Galgenhumor konnten sie sich halbwegs bei Laune halten. Alle rissen ihre Witzchen über wund gelaufene Füße, flüssigen Stuhlgang und fauliges Wasser, nur von den Vergewaltigern hielten Kazim und seine Freunde sich fern. »Wir sind keine Tiere«, sagte Haroun. »Andere mögen vergessen, wer sie sind und weshalb wir hier sind, aber wir nicht.«
    Haroun sprach viel mit den anderen Männern, um ihre Geschichte zu hören. Überraschend viele waren konvertierte Omali, Männer ohne Heim oder Familie, die Gemeinschaft suchten oder Reichtum oder auch nur etwas zu essen. Keiner von ihnen hatte je einen Rondelmarer gesehen, geschweige denn einen persönlichen Grund, einen von ihnen zu töten. »Aber sie halten die heilige Stadt besetzt«, fügten sie dann jedes Mal hastig hinzu. »Deshalb müssen sie sterben.« Danach hörten sie sich pflichtschuldig Harouns fromme Ermahnungen an, um sich dann doch wieder an den Plünderungen und Vergewaltigungen zu beteiligen. Nur die größeren Städte mit bemannten Garnisonen blieben verschont, und selbst dort kam es zu Gewalttätigkeiten.
    Und in jeder Stadt und jedem Dorf fragte Kazim, ob jemand einen alten Ferang mit zwei Lakh-Mädchen gesehen hatte. Manchmal konnten sich die Leute sogar an eine solche Gruppe erinnern. Sie war vor über einem Monat durchgekommen und hatte wahrscheinlich inzwischen die große Wüste durchquert, wie ihm ein alter Mann mitteilte, der

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