Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
war natürlich Ketzerei, für die er sofort ausgestoßen würde. Also behielt er seine Gedanken für sich und neigte folgsam das Haupt, während die Gebete durch die Kathedrale hallten:
»Gesegnet seien die Magi, von Kore berührt, Träger des Lichts. Möge die Macht des heiligen Kore nie versiegen. Gesegnet sei der heilige Corineus, Bringer des Lichts, der Weisheit in unseren Herzen. Möge sein Antlitz uns den Weg zum Himmel weisen. Gesegnet seien Kore, die heilige Kirche, Hüter des wahren Glaubens, deren Licht den finstren Unglauben überstrahlt. Gesegnet seien die Kirkegar, Ritter des wahren Weges. Mögen die Schwerter der Amteh unter ihrem Ansturm zerbrechen. Verflucht sei Corinea, Schwester und Verräterin des Corineus. Mögen alle Frauen ihre Sünden bereuen.«
Alaron fiel auf, wie Gina Beler in seine Richtung schaute. Er fragte sich, ob es stimmte, was Malevorn erzählt hatte, ob er sie wirklich entjungfert hatte. Wahrscheinlich nicht. Es war nicht einfach, mit einem Mädchen allein zu sein. Andererseits schien Malevorn so gut wie alles fertigzubringen, und es entsprach durchaus seinem Charakter, den Ruf eines Mädchens aus purer Bosheit zu ruinieren.
Damit wäre die Sache wohl endgültig erledigt. Ich will nicht, was er für mich übrig lässt.
Der ältliche Bischof beschloss das Gebet und kündigte Gouverneur Belonius Vult an. Mit einem Mann wie Vann als Vater und Ramon als bestem Freund war Alaron schon immer sehr an Politik interessiert gewesen. Vult war eine wichtige Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Ein reinblütiger Magus aus einer altehrwürdigen Familie, aufgrund seiner Herkunft während der Revolte zum General ernannt – gegen den ausdrücklichen Wunsch des großen Generals Robler, der auf oberster Entscheidungsebene nichts mitzureden gehabt hatte. Es waren Vults Truppen gewesen, die Robler den Rücken hätten freihalten sollen. Stattdessen hatten sie sich auf schändlichste Weise bei Lukhazan kampflos ergeben, was zugleich der Anfang vom Ende der norischen Revolte gewesen war. Manche Stimmen sagten, Vult habe Noros verraten, habe sich in einem Akt des Hochverrats an Rondelmar verkauft. Es war darüber nachgedacht worden, ihn zu verhaften. Andere jedoch behaupteten, der Krieg sei bereits verloren gewesen. Vult habe lediglich unschuldige Leben gerettet, den Weg zum Frieden geebnet – und das auf Kosten seines Rufs. War er Held oder Verräter? Eltern, deren Söhne nach dem Krieg wohlbehalten aus den Gefangenenlagern zurückgekehrt waren, zollten ihm höchsten Respekt für das, was er getan hatte. Andere jedoch, deren Söhne für nichts und wieder nichts gestorben waren, hatten ihm bis heute nicht verziehen.
Vult hatte silbrig seidenes Haar und einen gepflegten Bart. Seine Bewegungen waren geschmeidig wie die einer Katze, seine Stimme klang betörend, als er das Wort erhob: »Volk von Noros, die folgenden Worte werden in jeder Stadt und in jedem Dorf unseres großen Reiches verlesen, von Rondelmar, Argundy und Lantris bis Verelon, Schlessen und Pontus. Dies ist ein historischer Moment, denn was ich euch zu sagen habe, betrifft den kommenden Kriegszug.«
Ein Raunen ging durch die versammelte Kirchengemeinde, dann wurde es totenstill. Alaron konnte den Regen draußen hören und das leise Stöhnen des Windes. Vults Stimme schallte durch die Kathedrale, während Redner auf dem Vorplatz alles wiederholten, was er sagte.
»Dies sind die Worte Seiner kaiserlichen Majestät, Kaiser Constant Sacrecours: ›Geliebtes Volk, ihr seid meine Kinder, und ich bin euer Vater, gesandt von unserem Vater hoch im Himmel. Ich bin euer Kaiser und spreche mit der Stimme Kores. Kores Wort ist wie die Gestirne, nach denen wir uns orientieren, es leitet unser Reich seit langer Zeit, denn wir sind eine Nation. So mancher mag nach Rondelmar, Bricia, Argundy, Noros, Schlessen oder sonst wohin in die weiten Lande des Kaiserreichs blicken und Unterschiede sehen, doch ich, euer Vater, sehe nur Gemeinsamkeiten. Wir sind ein Volk, trotz unterschiedlicher Sprachen und Gebräuche. Denn ich habe meine Augen nach dem dunklen Kontinent gewandt und dort gesehen, was wir nicht sind: Wir sind keine Heiden, wir sind die Kinder Kores, des einzigen wahren Gottes. Wir sind nicht dunkelhäutig wie die im Rinnstein geborenen Menschen des Ostens. Unsere Seelen sind so rein, wie unsere Haut weiß ist. Wir sind keine Barbaren, die sich so viele Frauen nehmen, wie die Laune es ihnen eingibt, die tyrannisch herrschen in überbordenden
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