Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
war sie ganz sicher: Antonin Meiros war endlich zur Tat geschritten. Hatte seine Zuflucht in Hebusal verlassen und war nach Süden gegangen, um nach einem Weg zu suchen, den drohenden Krieg abzuwenden – oder ihn wenigstens zu überleben. Wie alt er geworden war. Sabele erinnerte sich daran, wie er in seiner Jugend ausgesehen hatte, an ein Gesicht, das nur so gebrannt hatte vor Tatkraft und Entschlossenheit. Damals war sie ihm gerade noch entwischt, als er und sein Orden sie und die Ihren – Liebhaber ebenso wie Familie – beinahe ausgelöscht hatte. Besser, du hältst mich nach wie vor für tot, Magus.
Sie verscheuchte Jahanasthami mit einer nervösen Handbewegung. Also hat der große Antonin Meiros endlich beschlossen zu handeln. Sie hatte lange genug die sich ständig wandelnden Möglichkeiten der Zukunft erforscht, um zu wissen, wonach er suchte. Sie war lediglich überrascht, dass er so lange gewartet hatte. Es blieb nur noch ein Jahr bis zur Mondflut und zu dem Gemetzel, das sie mit sich bringen würde. Das Spiel war schon weit fortgeschritten, und Meiros’ andere Optionen waren gescheitert.
Sie waren beide Weissager, hatten beide die möglichen Zukünfte gesehen. Seit Jahrhunderten hatten sie sich in der Geisterwelt bekämpft, um die Zukunft gerungen. Sie hatte seine Fragen gehört und die Antworten darauf gespürt. Manche davon hatte sie ihm selbst geschickt: Lügen, aus Vermutungen gesponnen, Köder an hauchdünnen Fäden.
Ja, Antonin, komm nach Süden. Empfange das Geschenk, das ich für dich bereitet habe! Schmecke neues Leben. Schmecke den Tod.
Sie versuchte zu lachen und weinte stattdessen – vor Wut und Zorn über all das, was sie verloren hatte, vielleicht auch aufgrund irgendeines anderen Gefühls, von dem sie gar nicht mehr wusste, dass sie es empfinden konnte. Sie ging dem nicht nach, kostete nur davon und genoss die willkommene, kurzzeitige Veränderung.
Die Sonne war inzwischen so hoch gestiegen, dass ihr Licht in die Höhle drang. Noch immer kauerte Sabele dort, eine alte Spinne, verstrickt in einem noch älteren Netz. Neben ihr lag, still und kalt, das tote Baby.
Die Plagen Kaiser Constants (Teil 1)
Die Welt von Urte
Urte ist nach Urtih benannt, einem Erdgott der Yothic. Es gibt zwei bekannte Kontinente: Yuros und Antiopia, auch Ahmedhassa genannt. Gewisse Ähnlichkeiten bei primitiven Artefakten und Übereinstimmungen in der jeweiligen Tierwelt haben manche Gelehrte zu der Vermutung geführt, dass die beiden einst durch die Pontische Halbinsel verbunden waren. Diese Vermutung ist nach wie vor unbewiesen, gewiss ist jedoch, dass ohne die Macht der Magi keinerlei Kontakt zwischen den beiden Kontinenten bestehen könnte, denn sie sind durch über 300 Meilen unbefahrbarer See voneinander getrennt. Wir gehen davon aus, dass durch ein kosmisches Ereignis in prähistorischer Zeit Lune, der Mond, in eine nähere Umlaufbahn gebracht wurde, wodurch die Meere unruhiger wurden und ein nicht geringer Teil der einstigen Landmasse verloren ging.
Ordo Costruo, Pontus
Pallas in Nordrondelmar, Yuros
2 Julsept 927
1 Jahr bis zur Mondflut
Gurvon Gyle zog die Kapuze seiner Robe über den Kopf wie ein bußfertiger Mönch, als sei er einfach nur ein weiterer unbekannter Priester der Kore. Er wandte sich einem Begleiter zu, einem eleganten Mann mit silbrig glänzendem Haar, der sich gedankenverloren über den Bart strich und durch das vergitterte Fenster nach draußen blickte. Das wechselnde Licht auf seinem Gesicht ließ ihn alterslos erscheinen. »Du trägst immer noch den Gouverneursring, Bel«, merkte Gyle an.
Der Mann schreckte aus seinen Gedanken hoch und steckte den verräterischen Ring in die Tasche. »Hör dir diese Menge da draußen an, Gurvon.« Seine Stimme klang nicht wirklich verängstigt, aber immerhin beeindruckt, und das war selten genug. »Es müssen sich mehr als hunderttausend Bürger auf dem Platz versammelt haben.«
»Ich habe gehört, über dreihunderttausend würden der Zeremonie beiwohnen«, erwiderte Gyle. »Auch wenn nicht alle bei der Parade zusehen. Setz deine Kapuze auf.«
Belonius Vult, Gouverneur von Noros, lächelte säuerlich und tat mit einem leisen Seufzer, wie ihm geheißen. Anonymität war einer der Grundpfeiler von Gurvons Gewerbe, aber Vult hasste sie. Doch heute war nicht der Tag, um sich öffentlich zu zeigen.
Es klopfte leise an der Tür, und ein weiterer Mann betrat den kleinen Raum. Er war schlank, hatte den olivenfarbenen Teint und die schwarzen Locken
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