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Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)

Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)

Titel: Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Hair
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waren. Also dachte er an seine Tochter und wählte seine Worte sorgsam. »Sie ist ein gutes Mädchen, Herr, aufrichtig und ehrlich, aber nicht dumm. Sie weiß, wie man verhandelt, und sie weiß, wann sie Nein sagen muss. Sie kichert und tratscht nicht wie die meisten anderen Mädchen in ihrem Alter. Sie ist vernünftig, und man kann ihr in Bezug auf Geld oder Kinder bedenkenlos vertrauen. Ich schätze mich glücklich, ein solches Mädchen zur Tochter zu haben.«
    »Es ist genau, wie Ispal sagt, Herr«, warf Vikash begeistert ein. »Sie gilt als gute Partie für jeden jungen Mann in Baranasi. Und auch wenn Ihr sagt, es sei Euch egal: Sie hat ein hübsches Gesicht, Herr.«
    Ispal lächelte dankbar. »Aber ich verstehe immer noch nicht, Herr«, sagte er, während er all seinen Mut zusammennahm. »Ihr lebt bereits seit Jahrhunderten. Müsstet Ihr nicht alle Zeit der Welt haben?«
    Meiros seufzte. »Das wünschte ich, Meister Ankesharan.«
    Ispal wartete darauf, dass Meiros weitersprach, aber der Magus schwieg. Dann ist er also doch nicht unsterblich …
    »Meine Kinder werden Reichtum und Macht erben«, sagte Meiros schließlich. »Das Blut wird in ihren Adern fließen, Magusblut, das Blut eines direkten Nachkommen der Dreihundert. Ich bin ein Mann des Friedens, Ispal Ankesharan, ganz gleich, was Ihr gehört haben mögt. Wenn stimmt, was Ihr über Eure Tochter sagt, und Ihr mir gestattet, sie zu heiraten, werde ich sie gut behandeln. Und ich halte meine Versprechen.«
    Hier sitze ich, Ispal Ankesharan, Sohn eines Ladenbesitzers, und trinke Tee mit dem meistgehassten Mann in ganz Urte. Antonin Meiros. Der Name allein erzeugt Furcht und Abscheu bei Jung und Alt. Er ist der Mann, der die beiden Kontinente, von den Göttern getrennt durch unbefahrbare See, mit der größten Brücke verbunden hat, die je erschaffen wurde, und dann hat er die Soldaten über sie hinwegmarschieren lassen. Ein Wunderwirker, ein fleischgewordener Mythos – und jetzt ist er hier und hält um die Hand meiner Tochter an! Es klang wie eine Geschichte aus den heiligen Büchern, eine Geschichte vom Dämonenfürsten, der einen rechtschaffenen Mann in Versuchung führt. Ispals Hände zitterten. Halt still, mein Herz, birst mir nicht in der Brust!
    »Angenommen, die Aufzeichnungen bestätigen Eure Worte«, sagte Meiros. »Sind wir uns dann handelseinig? Darf ich Eure Tochter heiraten?«
    Wankend ging Ispal nach Hause. Ihm war schwindlig, immer wieder musste er anhalten und sich setzen. Vikash war ganz aufgeregt, aufgeregter als selbst Ispal. Und, wie viel Gold hast du dir verdient, Vikash? Aber Ispal konnte die Frage nicht weiterverfolgen. Es gab so vieles, worüber er nachdenken musste: Wie konnte er es Raz sagen und sein Blutsbruder bleiben? Wie sollte er es Tanuva beibringen, ohne dass sie ihn aus dem Haus jagte? Was sollte er Jai erzählen, der seine Schwester so sehr liebte? Wie sollte er Kazim die Nachricht überbringen und es überleben?
    Und erst Ramita.
    Es war ein blasser, zitternder Ispal, der an diesem Nachmittag sein glückliches Heim betrat, um genau dieses Glück zu zerstören. Er hörte, wie seine Frau beim Kochen mit den Kindern Lieder sang. Jai und Ramita würden erst nach Einbruch der Dunkelheit vom Markt zurückkehren. Ispal hielt sich am Türrahmen fest und dankte Vikash mit gedämpfter Stimme. Dann scheuchte er ihn fort. Voll Tatkraft ging Vikash federnden Schrittes davon, nur Ispal war vollkommen erschöpft, als habe er noch einmal mit viel zu wenig Wasser und Proviant die Wüste durchquert, als seien noch einmal seine Männer um ihn herum gestorben wie die Fliegen. Doch es war diese Erinnerung, die ihm schließlich Kraft verlieh. Es hatte alles einen Sinn, dass ich dem Tod in zwei Kriegszügen von der Schippe gesprungen bin. Es war alles für diesen einen heutigen Tag.
    Er atmete tief durch und rief nach seiner Frau.

Die pflichtbewusste Tochter
    Lakh
    Südlich der großen Wüsten erstreckt sich ein weites Land, bewohnt von einem der größten Völker Urtes. Sie selbst nennen sich Lakh. Der Name kommt von ihrem Wort »Lak«, das für »einhunderttausend« steht, ursprünglich jedoch nichts anderes bedeutete als »viele«. Sie sind die vielen, und mannigfaltig sind sie in der Tat! Alles nur Erdenkliche kann man dort sehen: Schönheit und Schande, Liebe und Hass, Frömmigkeit und Tyrannei, Reichtum und Überfluss neben jämmerlichem Elend. Lebendig und laut berauscht dieses Land die Sinne und lässt einen nie wieder los.
    Wesir

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