Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
Die Götter sind meine Zeugen, Ramita ist eine reine Freude, die pflichtbewussteste Tochter, die man sich nur vorstellen kann. »Selbst wenn ich also bereit wäre, mir den Zorn meiner Frau zuzuziehen, indem ich ihre Träume zerstöre: wozu? Ist Euch nicht zu Ohren gekommen, dass die Große Zusammenkunft eine Fehde ausgerufen hat? Tod den Ferang und Tod den Soldaten des Kriegszugs! So lauteten die Worte des Moguls. Überall heben die Amteh und sogar die Omali Truppen aus. Aus meinem Blutsbruder haben die verfluchten Magi einen brandnarbigen Krüppel gemacht. Warum also sollte ich den Wunsch haben, mit Euch Geschäfte zu machen? Was sollte mich davon abhalten, noch in diesem Moment hinaus auf die Straße zu gehen und fünfzig tüchtige Männer zusammenzurufen, die lieber heute als morgen damit anfangen wollen, es den Ferang heimzuzahlen? Könnt Ihr mir diese Frage beantworten?«
Graav zupfte nervös an seinem Schnauzbart herum. »All das ist wohl wahr«, stimmte er zu, »aber mein Klient wünscht, dass Ihr folgendes Angebot überdenkt: Als Gegenleistung für eine anonyme Heirat erhaltet Ihr ein Crore im Voraus, ein Lak für jedes Jahr Ehe und ein weiteres für jedes Kind, das Eure Tochter zur Welt bringt. Das Geld wird selbst nach Eurem Tod weiter an Eure Hinterbliebenen ausgezahlt.«
Ispal Ankesharan zuckte so heftig zusammen, dass der alte Stuhl unter seinem Gewicht zusammenbrach. Bilder von Rupal, die sich wie ein Sternenschauer auf ihn ergossen, tanzten vor seinem inneren Auge. Er merkte kaum, wie er mit dem Hintern auf dem dreckigen Fußboden aufschlug. Ein Crore: zehn Millionen Rupal! Ein Lak: hunderttausend! Jedes Jahr! Jedes einzelne Jahr, und das für immer , wiederholte er wie einen Refrain.
Ein schöner Verhandlungsführer bist du, Ispal Ankesharan! Er ließ sich von Vikash aufhelfen, während Lowen Graav dahockte wie eine fette weiße Kröte, die sich das Lachen verkneifen muss. Schnaufend hievte Ispal sich in einen anderen Stuhl. Ein Crore und ein Lak für jedes Jahr, das meine Tochter lebt. Ein Lak war mehr Geld, als er je geträumt hatte, in seinem ganzen Leben zu verdienen. Ein Crore ging weit darüber hinaus. Eine so unfassbare Menge Geld würde reichen für Diamanten und Perlen und Gold zuhauf. Für Seide aus Indrabad und einen Palast direkt am Fluss, für feinste Kleidung, Dienerschaft und eine eigene kleine Armee: genug, um jeden Prinzen von Baranasi zu übertreffen. Das ist irre viel Geld. Der Ferang ist irre!
Er staubte seine Kurta ab und versuchte verzweifelt, einen klaren Kopf zu bewahren. Das muss entweder der verrückteste Scherz sein, von dem ich je gehört habe … oder es ist echt.
»Darf ich folgern, dass Ihr zumindest ansatzweise interessiert seid?«, hakte Lowen mit amüsiertem Unterton nach.
Ispal Ankesharan atmete tief durch. Einmal, dann noch einmal, dann schloss er die Augen. Denk nach, Ispal, denk nach! Ist dieses Angebot echt? Würdest du es annehmen, wenn es echt wäre? Geld ist das eine, aber die Leute werden Fragen stellen. Alles müsste absolut diskret ablaufen. Es müsste so aussehen, als hätte ich Glück gehabt, einen riesigen Auftrag bekommen, ein Geschäft mit einem sehr, sehr wohlhabenden Händler aus dem Norden abgeschlossen vielleicht. Irgendeine glaubwürdige Geschichte. Das Auskommen meiner Familie wäre für alle Zeiten gesichert. Ich könnte Jai mit einer Prinzessin verheiraten!
Ispal wusste, es würde Tränen geben wegen des Opfers, das Ramita für diese Sache bringen müsste. Aber das war das Los einer pflichtbewussten Tochter: zu tun, was zum Vorteil der Familie war, das Feuer zu sein, in dem das Glück der Familie geschmiedet wurde. Er würde es Raz sehr vorsichtig beibringen müssen und erst recht seinem temperamentvollen Sohn Kazim. Kazim liebte Ramita leidenschaftlich. Und Tanuva würde ein Meer von Tränen weinen, das selbst Ganns heiligem Rüssel Konkurrenz machte. Sie würde einen zweiten Fluss weinen.
Aber wäre es nicht letztendlich das Beste für alle? Würden sie nicht alle, wenn sie eines Tages zurückblickten, zu diesem Schluss kommen? Mit so viel Geld könnten sie Ramita ohne Probleme jedes Jahr besuchen. Sie würden sie nicht auf immer und ewig verlieren. Graavs Klient war ein alter Mann. Sicher würde er nicht mehr lange leben. Nur lange genug, damit Ramita ihm ein paar Kinder gebären könnte. Das wäre schon genug. Zitternd fuhr Ispal sich mit der Zunge über die Lippen.
Mit einem Lächeln streckte Graav ihm die Hand hin.
Ispal
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