Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
er sagte nichts.
Ein paar junge Männer begleiteten ihn zurück zum Dom-al’Ahm. Durch das Gewühl auf dem Markt mussten sie ihn beinahe tragen.
Überall versammelten sich die Gläubigen zum Abendgebet. Es war immer noch nicht ganz dunkel. Selbst jetzt ist es noch nicht zu spät, die Zeremonie hat noch nicht … Nein, denk nicht mal dran!
Nach dem Gebet kam Haroun zu ihm. »Kazim, mein Freund. Was ist passiert? Wo warst du?«
Kazims Kopf drehte sich. »Bei einer Hochzeit.«
Haroun verstand sofort. »Ah, mein närrischer Freund. Wie ich sehe, wurden die ungeladenen Gäste nicht sehr freundlich behandelt.« Er schüttelte mitfühlend den Kopf. »Ich hol dir etwas Wasser. Du siehst furchtbar aus.«
»Ich werde den Kerl umbringen«, fluchte Kazim.
»Wer war es?«
»Ein hässliches rondelmarisches Warzenschwein mit Schultern wie ein Stier und einem pockennarbigen Gesicht.«
Haroun grinste. »So sehen sie alle aus. Sie sind ein selten hässliches Volk.«
Beide lachten, aber es klang hohl und bitter und konnte die Stille nicht vertreiben, die unweigerlich folgte.
Am Morgen nach Ramitas Hochzeit saß Kazim beim Grab seines Vaters und beobachtete den Sonnenaufgang. Die Nacht über hatten er und der junge Schriftenschüler Flasche um Flasche Arrak gelehrt, und jetzt schlief Haroun neben ihm, zufrieden wie ein Kind. Ramita, wo bist du? Hat er dir wehgetan? Hast du dich gewehrt? Hat er deine Schenkel mit Blut besudelt?
Nachdem sie etwas Essen zusammengebettelt hatten, kehrten sie zur Mittagsstunde zum Dom-al’Ahm zurück. Jai tauchte auf und kniete sich neben Kazim, gerade als ein Gelehrter begann, von der Blutfehde zu sprechen: »Alle gesunden Männer sollen sich einfinden. Wir müssen die Eindringlinge töten und Hebusal zurückerobern. Kinder Gottes, hört den Ruf, seid ihr Amteh oder Omali! Ruhm erwartet euch, ob im Sieg oder im Tod. Ahm belohnt jeden, der in der Schlacht den Heldentod stirbt, mit hundert Jungfrauen. Er ruft jeden Einzelnen von Euch!«
Danach erzählte Jai ihm, dass Ispal auf der Suche nach einem neuen Haus war. Bald würden sie das alte verlassen, das sie mit eigenen Händen erbaut hatten. Seit Generationen war es das Familienheim gewesen, Jai und Kazim waren dort geboren worden. Die ganze Welt war aus den Fugen.
»Und Ramita?«
»Weg«, erwiderte Jai. »Vater und Mutter haben sie heute Morgen verabschiedet. Jetzt ist sie weg.«
Kazims Herz blieb stehen. Was bleibt mir hier noch?
Der Dom-al’Ahm wurde sein neues Zuhause. Hinter dem Gebäude befanden sich kleine Garküchen, die die Hungrigen mit bescheidenem, aber gesundem Essen speisten. Kazim aß dort jeden Tag zweimal, die Nächte verbrachte er, in eine Decke gehüllt, hinter dem Schlafsaal der Schriftenschüler. Aus den Trümmern seines alten Lebens erwuchs ein neues.
Auf einem kleinen Feld außerhalb der Stadt, geschützt vor den Blicken der Soldaten des Prinzen, unterrichtete ein Veteran namens Ali die jungen Männer in der Schwertkunst. Selbst Jai kam hin, wenn er konnte. »Es ist gut, mit einem Schwert umgehen zu können«, sagte er. Er war einer der wenigen Omali unter den Dutzenden Amteh und nicht besonders geschickt, aber Kazim sorgte dafür, dass er nicht behelligt wurde. Als Schriftenschüler nahm Haroun selbst nicht teil, aber er schaute aufmerksam zu.
Kazim war immer ein guter Athlet gewesen, und nach einiger Zeit schlug er alle, sogar Ali. Selbst altgediente Krieger sahen ihm beim Üben zu. »Sie sind beeindruckt von dir, mein Freund«, sagte Haroun eines Tages zu ihm, und Kazims Brust schwoll vor Stolz und Genugtuung.
Ramita galt sein erster Gedanke, wenn er morgens erwachte, und sein letzter, wenn er sich schlafen legte. Sie war in all seinen Gebeten, war das Bild, das ihn anspornte, immer noch schneller zu laufen, immer noch härter zu üben. Und in seiner Erinnerung wurde sie von Tag zu Tag schöner.
Am letzten Tag des Monats kehrte Jai nicht mehr ins Haus seiner Eltern zurück. Zu dritt saßen die neuen Freunde beisammen, schlossen Blutsbrüderschaft und verschrieben ihr Leben der Blutfehde. Jai schwor dem Omali-Glauben ab und wurde Amteh. Er verabschiedete sich nicht einmal mehr von seinen Eltern. »Die Gier nach Geld hat sie verdorben«, sagte er. »Sie sind nicht mehr meine Familie. Ahm ist mein Vater, und ihr seid meine Brüder.«
Am nächsten Morgen packten sie das wenige zusammen, das sie besaßen, und schlossen sich der kleinen Karawane an, die durch den Frühnebel nach Norden marschierte, um in der
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