Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
nicht schwer. Bis dahin, akzeptiere meine Entschuldigung.«
Ramita erschauerte.
Ihr Mann – dieser Greis ist jetzt mein Mann! – schien das Fest tatsächlich zu genießen. Wann immer jemand den Mut aufbrachte, ihm in die Augen zu sehen, nickte er wohlwollend. Doch noch immer kannte niemand außer ihr und ihrer engsten Familie seinen Namen aus Angst vor dem, was andernfalls geschehen würde.
Misstrauisch verfolgte Lem jede Bewegung. Das unübersichtliche Treiben behagte ihm ganz und gar nicht.
Mein frisch Vermählter muss viele und mächtige Feinde haben .
Normalerweise würde das Singen und Tanzen weitergehen, bis das Brautpaar sich zurückzog. Dann würden die verheirateten Frauen ihre Töchter nach Hause bringen, damit die Gastgeber Schnaps und Ganja hervorholen konnten. Spieler würden ihre Karten zücken, und es würde eine lange, wilde Nacht. Doch Ramita war nur gestattet, mit ihrem Mann zu tanzen, und sie glaubte kaum, dass er dafür zu begeistern war. Und selbst wenn: Ihr war nicht nach Tanzen zumute.
Der Mond, jetzt beinahe voll, kletterte über die Häuserdächer und tauchte die Feier in silbriges Licht. Ramita flüsterte ein Gebet zu Parvasi: »Beschütze mich, Königin des Lichts, und beschütze Kazim. Bring ihm meine Liebe.« Sie warf dem alten Magus einen kurzen Blick zu, dann ließ sie wieder Stille in ihre Gedanken einkehren.
Kämpfer der Fehde
Der erste Kriegszug
Im Jahr 904 war ich ein junger Soldat. Die Generäle hatten uns gesagt, die Dhassaner würden unsere Landsleute in Hebusal töten, der Kaiser fordere, dass die Legionen sich aufmachten, unsere Brüder zu retten. Und doch kostete es uns allen Mut, den Fuß auf jene Brücke zu setzen. Ich erinnere mich noch gut an die ungeheure Anspannung – würde Meiros sein Werk unter unseren Füßen einstürzen lassen und Zehntausende einem nassen Grab überantworten? Wie würde er sich verhalten? Manche beteten, andere verharrten schweigend, doch alle hatten entsetzliche Angst. Aber Kore war mit uns, denn wir gelangten sicher zum Südpunkt. Ich kann mich nicht entsinnen, meine Frau je so leidenschaftlich geküsst zu haben, wie ich die Erde küsste an jenem Tag, als wir Dhassa erreichten. Die Überquerung lag hinter uns, und Hebusal stand bereits in Flammen.
Die Memoiren des Jan Balto , Legionär der Palacios V, 904
Baranasi in Nordlakh, Antiopia
Shawwal 1381 (Okten 927 nach yurischer
Zeitrechnung)
9 Monate bis zur Mondflut
Kazim bereute jedes Wort, das er gesagt, jede Beleidigung, die er Huriya entgegengeschleudert hatte, die so offensichtlich entzückt darüber war, mit Ramita nach Norden zu gehen. Und alle Flüche, die er ausgestoßen hatte, weil Ramita einen anderen heiraten würde.
Ich hatte unrecht: Ramita bleibt keine andere Wahl. Es ist nicht ihre Schuld, und mittlerweile hat Huriya ihr bestimmt erzählt, was ich gesagt habe. Sie wird glauben, alles sei mir egal. Sie wird glauben, ich hasse sie … Ich wollte ihr den Tod nicht an den Hals wünschen. Die Wahrsagerin hat mir prophezeit, dass Ramita mein Schicksal ist, wie kann also geschehen, was gerade geschieht?
Aber er hatte all diese Dinge gesagt, seiner selbstzufriedenen kleinen Schwester all seine Trauer und seine Wut entgegengeschrien. Hätte Haroun ihn nicht zurückgehalten und in den Dom-al’Ahm gezerrt, er hätte sie sogar geschlagen. Haroun war bei ihm geblieben, bis er sich wieder beruhigt hatte.
Jetzt war es Nachmittag. Ramita würde im Kreis ihrer Familie in dem kleinen Innenhof sitzen und sich auf die Hochzeit vorbereiten. Ob sie ihn vermisste? Ich habe es nicht so gemeint, als ich Huriya angeschrien habe, du solltest dir lieber die Kehle durchschneiden, als dich von diesem alten Mann anfassen zu lassen. Bitte, glaub mir! Aber tief in seinem Innersten fühlte er immer noch so. Das Kalistham war voll von Geschichten von Frauen, die den Mut gehabt hatten, ihrem Leben ein Ende zu machen, anstatt Schande über sich zu bringen. Einer der Gelehrten hatte das gesagt, nachdem Haroun ihm von Kazims Verzweiflung berichtet hatte. Aber sich vorzustellen, dass Ramita es tatsächlich tun würde, ertrug er noch viel weniger.
Ispals Gier ist an allem schuld, und Huriya ist noch schlimmer! Sie geht jetzt nach Norden. Alles, was sie kümmert, ist ihr eigener Vorteil. Sie weiß, wer dieser Freier ist, und weigert sich, es mir zu sagen, die treulose Schlampe!
Er war fest entschlossen, die Hochzeit zu sprengen, egal was Haroun sagte. Nur aus Respekt hörte er die Worte seines neuen
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