Die Brücke der Gezeiten 1: Ein Sturm zieht auf (German Edition)
nicht wegwischen konnte, weil sie die heftig zitternden Finger in Meiros’ Blumenkranz verkrallt hatte.
Meiros wurde in die Küche geführt, wo das Ritual vollendet werden würde. Huriya stand in der Tür und strich über Ramitas Arm, als Jai und Baghi sie schnaufend vorübertrugen. Dann setzten sie den Piri vor der brennenden Feuerstelle ab. Nur Ramitas Vater, Vikash, Guru Dev, Pashinta und Pandit Arun durften mit hineinkommen.
»Jetzt folgt der Schwur, edler Herr Meiros«, erklärte Vikash Nooradin.
Der Jadugara streckte ihr die Hände hin und zog sie mit überraschender Leichtigkeit auf die Füße. Ramitas Knie waren wacklig, ihre Beine schmerzten vom langen Sitzen. Kühle knochige Finger schlossen sich um die ihren, fleckige weiße Haut über ihren dunklen jungen Händen. Ramitas Kehle schnürte sich zu, ihr Atem ging rasselnd.
Sie hörte die Worte kaum, Schwüre von Treue, Vertrauen und Partnerschaft, von Pflicht. Götter wurden angerufen, Segen über sie gesprochen. Dann wies Vikash Meiros an, dreimal um das Feuer herumzugehen. Ramita folgte ihm, trat auf Teller, zerschmetterte Tontöpfe, stieß Kerzen um und kleine Wasserschalen, wie die Tradition es gebot, während Arun betete und sang, um die Götter gnädig zu stimmen. Dann fassten sie sich wieder an den Händen und gingen gemeinsam um das Feuer. Die letzte Runde. Sie waren verheiratet.
Ihr war schwindlig, und sie hielt sich an Meiros’ Arm fest, während die Gäste verhalten jubelten. Ispal rief Tanuva zu sich, und Ramita umarmte beide weinend. Ihre Eltern blickten Meiros nervös an, dann streckte Ispal vorsichtig die Hand aus.
Meiros schüttelte sie kurz und nickte Tanuva flüchtig zu.
Dann kam Huriya angestürmt, küsste Ramita und schloss sie in eine heftige Umarmung. Sie wirkte, als sei sie fest entschlossen, glücklich zu sein, als sei diese Hochzeit etwas, auf das sie lange hingearbeitet hatte.
Du bist die Einzige, die heute wirklich glücklich ist , dachte Ramita.
Das Keshi-Mädchen vollführte einen kecken Knicks vor Meiros und warf den Kopf in den Nacken. »Musik!«, rief sie den Trommlern und Sitarspielern zu. Sie wirbelte herum, streckte die Brust heraus und fing an, sich erstaunlich leichtfüßig zur Musik zu bewegen. Mit den Händen beschrieb sie grazile Muster in der Luft, ihr Gesicht zu immer neuen Grimassen verzogen. Es war ein Erzähltanz aus Kesh.
Ramita sah, wie Meiros’ Soldaten Huriyas kurvigen Körper mit ihren Blicken geradezu verschlangen, vor allem der grässliche Lem. An dem goldenen Ring in ihrem Bauchnabel war ein kleines Glöckchen befestigt, das bei jeder Bewegung hell erklang.
Die Gäste klatschten, die Trommeln wurden schneller, und schließlich kam Jai mit einem lauten Ruf an ihre Seite gesprungen, drehte sich und sprang wild in die Luft, wie es die Rolle des Mannes in diesem Tanz verlangte. Ramita hatte ihren Bruder noch nie so männlich gesehen. Eine Woge des Stolzes erfasste sie. Und dann tanzten alle, als sei das hier eine ganz normale Hochzeit, ein Tag der Freude und des gemeinsamen Feierns.
Platten mit Essen wurden aufgetragen. Erst jetzt spürte Ramita, wie hungrig sie war, wie ausgezehrt von der Belastung. Als Meiros sie zu einem mit Kissen ausgelegten Teppich geleitete, bemerkte Ramita, wie die Luft um ihn herum schimmerte. Sie prickelte sogar auf ihrer Haut, als wolle sie sie wegstoßen.
Meiros bemerkte ihre Verwirrung. »Ich bin gegen Geschosse abgeschirmt«, flüsterte er ihr zu. »Du wirst dich daran gewöhnen.«
Abgeschirmt . Noch mehr mysteriöse Magie. Ramita bekam eine Gänsehaut und rückte ein Stück von Meiros weg.
Wie die Tradition es gebot, fütterte der Bräutigam sie mit den Händen, dann sie ihn. Meiros musste lachen, weil ihre zitternden Hände seinen Mund nicht selten verfehlten – und er kam ihr beinahe vor wie ein Mensch. Doch Ramita konnte an nichts anderes denken als daran, wie sie sich diese Zeremonie wieder und wieder ausgemalt hatte: mit Kazim. Wo bist du, mein Geliebter? Weißt du, was hier gerade passiert? Kümmert es dich überhaupt?
Da bemerkte sie ein Blitzen in Meiros’ Augen und blendete alle Gedanken aus. Sie hatte Angst. Werde ich jetzt sogar aufpassen müssen, was ich denke?
»Nein, musst du nicht.«
Ramita zuckte als Erste zusammen, weil er ihre unausgesprochene Frage beantwortet hatte, dann Meiros, als verfluche er sich innerlich selbst. »Verzeihung«, fügte er hinzu. »Ich sollte das nicht tun. Ich werde dich lehren, deinen Geist zu schützen. Es ist
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