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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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sich zu nehmen, und Jimmy schrieb aus
Australien und fragte an, ob er nicht für ein paar Monate zu ihm
kommen wolle. Aber der alte Mann wollte sein eigenes Gebiet nicht
verlassen. Diesmal dauerte der Krankenhausaufenthalt länger, und
als sie ihn hinausließen, gelang es ihm nicht, das verlorene
Gewicht zurückzugewinnen. Eine Haushaltshilfe kam jeden Morgen.
Eines Tages fand sie ihn, anscheinend schlafend, am Feuer, ein
kleines Lächeln auf dem Gesicht. Es war auch sein Herz gewesen.
Der Arzt sagte, wahrscheinlich habe er überhaupt nichts
gespürt.
    Er organisierte alles – nicht etwa, daß es sehr viel zu
tun gegeben hätte. Seine Brüder und Schwestern konnten alle
zur Beerdigung kommen, sogar Sammy, der Urlaub aus dringenden
familiären Gründen bekam, und Jimmy, der den ganzen Weg von
Darwin zurücklegen mußte. Er hatte Andrea gefragt, ob es
ihr etwas ausmache, der Beerdigung fernzubleiben, und sie hatte nein
gesagt und es verstanden. Dann war es vorbei, und es war schön,
zu ihr, nach Edinburgh und an die Arbeit zurückzukehren. Die
Erstarrung, die ihn immer befiel, wenn er an den alten Mann dachte,
verlor sich bei ihm nie ganz, und obwohl er keine Tränen
vergoß, war er sich bewußt, daß er ihn geliebt
hatte, und er fühlte sich wegen dieses trockenen Kummers nicht
schuldig.
    »Ach, meine arme Waise«, sagte Andrea, und das war sein
Trost.
    Die Firma expandierte; es traten weitere Partner ein. Sie kauften
großartige neue Büros in der New Town. Er stritt mit den
anderen über die Bezahlung ihrer Angestellten; sie sollten alle
einen Anteil bekommen, sagte er, sie sollten alle Partner sein.
    »Was denn?« sagten die beiden anderen, »ein
Arbeiter-Kollektiv?« Sie lächelten tolerant. »Zum
Teufel, warum nicht?« gab er zurück. Sie waren beide
SDP-Anhänger; die Beteiligung der Arbeiter war eine der Ideen,
die die Allianz liebte. Sie sagten nein, aber sie riefen einen
Bonus-Plan ins Leben.
     
    Dann kam Andrea eines Tages von einem Flug nach Paris zurück,
und sie lächelte nicht. Sein Magen machte einen Satz. O nein,
dachte er. Was ist los? Was stimmt nicht?
    Sie wollte nicht darüber sprechen, was es auch sein mochte.
Sie sagte, es sei alles in Ordnung, aber sie sah die meiste Zeit sehr
ernst und nachdenklich aus, lachte wenig und blickte oft zerstreut
auf, entschuldigte sich und bat, den letzten Satz, den jemand gesagt
hatte, zu wiederholen. Er machte sich Sorgen. Er dachte daran,
Gustave in Paris anzurufen und zu fragen, was, zum Teufel, mit ihr
nicht stimme, was dort passiert sei.
    Er rief nicht an. Er war nervös, er versuchte, sie zu
unterhalten, führte sie zum Dinner aus oder ins Kino oder
besuchte mit ihr Stewart und Shona. Er versuchte, einen nostalgischen
Abend zu organisieren, ein Essen im Loon Fung in der Nähe seiner
alten Wohnung in Canonmills, dann eine Taxifahrt zum Canny
Man’s, aber nichts klappte. Er kam nicht dahinter, was es war.
Mrs. Cramond und er sorgten sich gemeinsam und versuchten einzeln,
die Wahrheit aus ihr herauszuholen. Schließlich schaffte es die
Mutter, aber auch erst nach drei Monaten und zwei weiteren Besuchen
in Paris. Andrea sagte ihrer Mutter, was nicht stimmte, und dann
kehrte sie nach Frankreich zurück. Mrs. Cramond rief ihn an. MS,
sagte sie ihm. Gustave hatte multiple Sklerose.
    »Warum hast du mir das nicht erzählt?« fragte er
sie.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete sie matt, die
Augen trübe, die Stimme tonlos. »Ich weiß es nicht.
Und ich weiß nicht, was ich tun soll; er hat niemanden, der
nach ihm sieht, richtig nach ihm sieht…« Bei diesen Worten
wurde ihm eiskalt. Armer Teufel, dachte er und meinte es ehrlich,
aber einmal ertappte er sich bei dem Gedanken: Das geht so langsam,
warum konnte er nicht schnell sterben? Und er haßte sich
dafür.
    Ein weiterer Streit; während des Streiks im Jahr 1984
weigerte er sich, eine Streikpostenkette von Bergarbeitern zu
durchbrechen. Die Firma verlor einen Auftrag.
    Andrea verbrachte mehr und mehr Zeit in Paris. Es kamen jetzt
weniger Leute in das Haus am Moray Place. Sie sah müde aus, wenn
sie von Paris zurückkam, und wenn es auch immer noch lange bei
ihr dauerte, bis sie zornig wurde, und sie immer noch locker im
Umgang mit Menschen war, so dauerte es jetzt bei ihr aber auch lange,
bis sie lachte, und sie hütete sich, sich unbesehen in ein
Vergnügen zu stürzen. Wenn sie sich liebten, entdeckte er
an ihr eine zusätzliche Zärtlichkeit und den Sinn
dafür, wie kostbar und flüchtig solche Augenblicke

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