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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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verschwenden. Es ist nicht wahrscheinlich, daß es Sie
irgendwo hinbringen wird, wissen Sie. Ebensowenig Sinn hat es,
sich über dieses Zeug aufzuregen wie ein
Schulmädchen.« Er bedenkt eine der pastoralen Szenen an der
Wand mit einer entlassenden Geste und runzelt die Stirn, als weise er
auf irgendeinen häßlichen Makel auf der bemalten
Täfelung.
    »Aber, Brooke, haben Sie nie den Wunsch, etwas anderes
als die Brücke zu sehen? Berge, Wälder, eine Wüste?
Denken Sie mal an…«
    »Mein Freund«, erklärt er mit Nachdruck und sieht
einem Kellner zu, der ihm Kaffee eingießt, »wissen Sie,
auf wie vielen verschiedenen Felstypen die Fundamente ruhen?« Es
klingt geduldig, beinahe müde. Er wird mir jetzt eine Vorlesung
halten, aber das gibt mir wenigstens eine Chance, meine gegrillten
Nieren zu essen, die serviert worden sind und allmählich kalt
werden.
    »Nein«, gestehe ich.
    »Ich will es Ihnen sagen«, beginnt Brooke. »Es sind
nicht weniger als sieben verschiedene Typen, die Spuren von Dutzenden
anderer nicht gezählt. Jede Art von Formation ist
repräsentiert: Sedimentgestein, metamorphes Gestein und beide
intrusiv und extrusiv von Eruptivgestein. Es gibt größere
Lager von Basalt, Dolerit, kalkhaltigem und kohlenstoffhaltigem
Sandstein, basaltischen und trachytischen Agglomeraten, basaltischer
Lava, tertiärem und altem roten Sandstein und beträchtliche
Mengen von schiefrigem Kies, alle vorhanden in komplizierten
Faltungen, deren Geschichte bisher…«
    Ich kann keine weiteren Steine mehr verkraften. »Sie
meinen«, sage ich, als sein Kedgeree kommt (er bedeckt es mit
einem Schneesturm aus Salz und lagert Pfeffer darauf ab wie eine
Schicht vulkanischer Asche), »daß die Brücke dem
forschenden Geist mehr als genug zu bieten hat, ohne daß man
auf Dinge außerhalb der Brücke zurückgreifen
muß.«
    »Genau.«
    Ich hätte eher »so ungefähr« gesagt, aber es
kommt nicht darauf an. Jedenfalls gibt es etwas
außerhalb der Brücke, etwas, an das ich mich beinahe, aber
nicht ganz erinnern kann. Mir ist, als besäße ich
Abstraktionen, allgemeine Vorstellungen von Dingen, die auf der
Brücke nicht zu finden sind: Gletscher, Kathedralen,
Automobile… eine fast endlose Liste. Aber ich erinnere mich an
nichts Spezifisches, es steigt kein bestimmtes Bild in mir auf. Mit
meiner einzigen Sprache und mit den Sitten und Gebräuchen der
Brücke (bestimmt alles das Produkt einer irgendwann
stattgefundenen Ausbildung) komme ich zurecht, aber mein
Gedächtnis enthält nichts über meine Schulzeit, mein
Heranwachsen. Ich bin in allem bis auf die Erinnerungen komplett. Wo
andere Leute das Äquivalent von Enzyklopädien und Journalen
haben, befindet sich bei mir… ein Taschenwörterbuch.
    »Ich kann einfach nicht anders, Brooke«, sage ich.
»Es gibt so viele Dinge, über die man hier nicht reden
kann: Sex, Religion und Politik, um damit anzufangen.«
    Er hält inne, eine Gabelvoll Kedgeree auf halbem Weg zum
Mund. »Nun«, antwortet er voller Unbehagen, »es ist ja
nichts Verkehrtes an… dem ersten, wenn einer verheiratet ist
oder das Mädchen eine Lizenz hat oder was auch immer… aber
verdammt noch mal, Orr…« – er legt die Gabel wieder
hin –, »Sie fangen immer wieder von ›Religion‹
und ›Politik‹ an. Was meinen Sie eigentlich
damit?«
    Anscheinend spricht er im Ernst. Auf was habe ich mich
eingelassen? Erst dies, und im Anschluß daran eine Sitzung mit
Dr. Joyce! Trotzdem versuche ich in den nächsten zehn Minuten,
Brooke eine Erklärung zu geben. Er blickt zunehmend mystifiziert
drein. Schließlich, als ich fertig bin, sagt er: »Hmm.
Weiß nicht, warum Sie zwei Wörter brauchen. Mir kommen sie
wie ein und dasselbe vor.«
    Ich richte mich voller Ehrfurcht auf. »Brooke, Sie
hätten Philosoph werden sollen.«
    »Philo… was ?«
    »Lassen Sie nur. Essen Sie Ihr Kedgeree.«
     
    Eine Tram bringt mich zu Dr. Joyces Brückenabschnitt. Das
überfüllte, ratternde Oberdeck ist voll von Arbeitern. Sie
sitzen auf den schmierigen Bänken und lesen Zeitungen mit
großem Druck und vielen Fotos. Fast alle widmen sich dem Sport
und den Lottozahlen. Die Männer sind Stahlarbeiter oder
Schweißer; ihre dicken Arbeitsjacken haben keine
Außentaschen und sind mit zahlreichen kleinen Verbrennungen
bedeckt. Sie sprechen untereinander, ignorieren mich. Gelegentlich
meine ich, ein Wort zu verstehen – benutzen sie einen stark
abweichenden Dialekt meiner eigenen Sprache? –, aber je mehr ich
lausche, desto weniger

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