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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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seine
Beförderung nicht zur Folge gehabt, daß der W.J.M. ersetzt
wurde (»Nein, Mr. Orr, wie gut Sie aussehen! Wie schön, Sie zu sehen, nehmen Sie doch Platz! Darf ich
Ihnen aus dem Mantel helfen? Ein Täßchen Kaffee
vielleicht? Oder Tee?«)
    Der kleine silberne Drehbleistift wandert wieder an die
Brusttasche des Doktors. »So«, sagt er, die Hände
faltend. »Was schließen Sie aus diesem Traum,
hmm?«
    Jetzt fängt er wieder damit an. »Doc«, sage ich und
hoffe, daß ihn das schon einmal ärgert, »ich habe
keine Ahnung. Es ist wirklich nicht mein Gebiet. Wie ist es mit
Ihnen?«
    Dr. Joyce betrachtet mich einen Augenblick lang gelassen. Dann
steht er von seinem Stuhl auf und wirft den Notizblock auf den
Schreibtisch. Er geht zum Fenster hinüber, sieht hinaus und
schüttelt den Kopf. »Ich will Ihnen sagen, was ich denke, Ott.« Er dreht sich um, starrt mich an. »Ich glaube,
daß uns die beiden Träume, dieser und der von gestern, gar
nichts verraten.«
    »Ah«, sage ich. Und das nach all der Arbeit, die ich mir
gemacht habe! Ich räuspere mich und frage ziemlich
eingeschnappt: »Und was tun wir jetzt?«
    Dr. Joyces blaue Augen glitzern. Er öffnet eine Schublade
seines Schreibtischs, zieht ein großes Buch mit abwaschbaren
Plastikseiten und einen Filzschreiber hervor und reicht mir beides.
Das Buch enthält zum größten Teil halbfertige
Zeichnungen und Tintenklecks-Tests. »Letzte Seite«, sagt
der gute Doktor. Ich blättere gehorsam zu der letzten Seite um.
Sie enthält zwei Zeichnungen.

    »Was soll ich damit?« frage ich. Das sieht kindisch
aus.
    »Sie sehen diese kurzen Striche, vier auf der oberen,
fünf auf der unteren Zeichnung?«
    »Ja.«
    »Vervollständigen Sie sie zu Pfeilen, so daß sie
in die Richtung der Kraft zeigen, die die abgebildeten Strukturen an
diesen Punkten ausüben.« Ich öffne den Mund, um eine
Frage zu stellen, doch er hebt die Hand. »Das ist alles, was ich
Ihnen sagen darf. Es ist mir nicht erlaubt, Ihnen irgendwelche
Hinweise zu geben oder weitere Fragen zu beantworten.«
    Ich nehme den Filzschreiber, vervollständige die Striche wie
verlangt und reiche dem Doktor das Buch zurück. Er sieht es sich
an, nickt. Ich frage: »Nun?«
    »Nun was?« Er nimmt ein Tuch aus seinem Schreibtisch und
wischt die Seite ab. Ich lege den Filzschreiber hin.
    »Habe ich es richtig gemacht?«
    Er zuckt die Achseln. »Was heißt
›richtig‹?« meint er brummig und legt alles in die
Schublade zurück. »Wenn es eine Examensfrage wäre,
hätten Sie es richtig gemacht, ja, aber es ist keine
Examensfrage. Es ist dazu gedacht, uns etwas über Sie zu
verraten.« Er schreibt mit dem kleinen silbernen Drehbleistift
in seinem Notizbuch.
    »Was verrät es über mich?«
    Wieder zuckt er die Achseln, sieht seine Notizen an. »Ich
weiß es nicht.« Er schüttelt den Kopf. »Es
muß etwas verraten, aber ich weiß nicht, was. Noch
nicht.«
    Ich würde Dr. Joyce gar zu gern auf die grau-rosa Nase
boxen.
    »Aha«, sage ich. »Na, dann hoffe ich, daß ich
dem medizinischen Fortschritt von einigem Nutzen gewesen
bin.«
    »Das hoffe ich auch.« Dr. Joyce sieht auf seine Uhr.
»Ich glaube, das wäre im Augenblick alles. Machen Sie einen
Termin für morgen aus, nur für alle Fälle, aber wenn
Sie keine Träume haben, rufen Sie an und lassen Sie ihn
streichen, in Ordnung?«
     
    »Mann, das ging aber schnell, Mr. Orr. Wie war es?
Möchten Sie ein Täßchen Tee?« Der makellos
aussehende Empfangschef hilft mir in meinen Mantel. »Sie waren
in Nullkommanichts drinnen und wieder draußen. Wie wäre es
mit einem Kaffee?«
    »Nein, danke.« Ich sehe zu Mr. Berkeley und seinem
Polizisten hinüber, die im Empfangsraum warten. Mr. Berkeley
liegt seitlich zusammengerollt in fötaler Haltung auf dem
Fußboden vor dem sitzenden Polizisten, der seine
Füße auf ihn gestellt hat.
    »Mr. Berkeley ist heute ein Fußschemel«, teilt der
widerwärtige junge Mann mir stolz mit.
     
    In den hohen, luftigen Gefilden der oberen Struktur sind die
Decken hoch, und in den verlassenen Korridoren riecht es
luxuriös und feucht nach den dicken Teppichen. Die
Holztäfelung der Wände ist aus Teak und Mahagoni, und die
Glasscheiben in den Messingrahmen der Fenster – sie gehen auf
düstere Lichtschächte oder auf das jetzt im Dunst
verschwimmende Meer hinaus – haben einen bläulichen Ton wie
Bleikristall. In Nischen entlang der dunklen Holzwände ragen
alte Statuen von vergessenen Bürokraten wie blinde Geister auf,
und von oben hängen große

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