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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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dunkle Fahnen wie schwere, zum
Trocknen aufgespannte Netze herunter. Sie bewegen sich leicht in
einem kühlen Luftzug, der alten Staub in den Korridoren
aufwirbelt.
    Nachdem ich den Doktor verlassen habe, wandere ich eine halbe
Stunde lang und entdecke dann einen alten Aufzug gegenüber einem
gigantischen runden Außenfenster, das wie ein transparentes
Zifferblatt, dem man die Zeiger geraubt hat, auf den Meeresarm
hinaussieht. Die Lifttür steht offen; drinnen sitzt ein alter,
grauer Mann auf einem Hocker und schläft. Er trägt einen
langen, burgunderroten Mantel mit blanken Knöpfen. Seine
dünnen Arme sind über dem Bauch gekreuzt, sein
eindrucksvoll bärtiges Kinn ruht auf seiner knopfbesetzten
Brust, und sein weißhaariger Kopf bewegt sich mit seinem
pfeifenden Atem langsam auf und ab.
    Ich huste. Der alte Mann schläft weiter. Ich klopfe gegen die
vorstehende Kante einer Tür. »Hallo?«
    Er wacht mit einem Ruck auf, löst die Arme und hält sich
an den Liftkontrollen fest. Es knackt, und die Türen beginnen
stöhnend und quietschend sich zu schließen, bis seine
wedelnden Arme von neuem gegen die Messinghebel stoßen,
woraufhin sich die Türen zurückziehen.
    »O Gott, Sir! Haben Sie mir einen Schrecken eingejagt! Ich
habe nur ein Nickerchen gehalten, ja, ja. Treten Sie ein, Sir.
Welches Stockwerk darf es sein?«
    Die großzügige, zimmergroße Kabine ist voll von
schlecht zueinanderpassenden Sesseln, abblätternden Spiegeln und
verstaubten Wandbehängen. Falls es sich nicht um einen
Spiegeltrick handelt, ist sie außerdem L-förmig, was sie
für mich zu einer einzigartigen Erfahrung macht. »Zugdeck,
bitte«, sage ich.
    »Sofort, Sir!« Der alte Fahrstuhlführer hakt eine
verrunzelte Hand über die Kontrollhebel, die Türen
schließen sich knirschend und klirrend, und nach ein paar
Püffen und sorgfältig gezielten Schlägen gegen die
Messingtafel gelingt es dem alten Knaben schließlich, den
Fahrstuhl dazu zu überreden, daß er sich in Bewegung
setzt. Er gleitet – rumpelnd, majestätisch –
abwärts, die Spiegel vibrieren, die Beschläge rasseln, die
leichteren Stühle und Sessel schaukeln auf dem
ungleichmäßigen Teppichboden. Der alte Mann schwankt
gefährlich auf seinem hohen Hocker und umklammert eine
Messingstange unter den Kontrollen. Ich höre seine Zähne
schnattern. Ich halte mich an einem Handgriff fest, glänzend
poliert und lose klappernd. Ein Geräusch wie reißendes
Metall hallt irgendwo über uns wider.
    Gelassenheit markierend, studiere ich einen vergilbten Anschlag an
meiner Schulter. Er nennt die verschiedenen Stockwerke, in denen der
Aufzug hält, sowie die Abteilungen, die Wohnabschnitte und
andere Einrichtungen, die man auf diesen Ebenen finden kann. Eine
Eintragung ziemlich oben zieht mein Auge an sich. Mein Gott! Ich habe
sie gefunden!
    »Entschuldigen Sie«, sage ich zu dem alten Mann.
    Zitterig, als habe er die Schüttellähmung, dreht er den
Kopf, um mich anzusehen. Ich klopfe auf die Liste an der Wand.
»Ich habe meine Meinung geändert; ich möchte in diesem
Stockwerk aussteigen. 52. Zur Dritten City-Bibliothek.«
    Der alte Mann sieht mich für einen Augenblick verzweifelt an,
dann legt er eine zitternde Hand auf die klappernden Kontrollen und
schlägt einen der Hebel nach unten. Gleich packt er wieder die
Messingstange und schließt die Augen.
    Der Aufzug winselt, kreischt, hüpft, kracht und schleudert
von einer Seite zur anderen. Ich werde beinahe von den
Füßen geworfen; der alte Knabe trennt sich von seinem
Hocker. Sessel kippen um. Ein Spiegel birst. Ein
Beleuchtungskörper fällt halbwegs von der Decke, bleibt
dann schaukelnd wie ein Gehenkter in einer Kaskade von Gips und Staub
und langen Drähten hängen.
    Wir kommen zum Halten. Der alte Mann klopft sich Staub von beiden
Schultern, zieht Jacke und Hut zurecht, hebt seinen Hocker auf und
drückt einige weitere Kontrollen. Wir steigen in die Höhe,
verhältnismäßig reibungslos.
    »Tut mir leid!« rufe ich dem Fahrstuhlführer zu. Er
starrt mich wild an und wirft Blicke in der Kabine umher, als
versuche er, das schreckliche Verbrechen zu entdecken, für das
ich mich entschuldige. »Ich hatte mir nicht richtig klargemacht,
daß das Anhalten und Umkehren so… traumatisch sein
würde«, brülle ich ihm zu. Er wirkt vollständig
verwirrt und späht hierhin und dahin in seiner rasselnden,
quietschenden, vom Staub vernebelten kleinen Domäne, als
könne er nicht erkennen, um was das ganze Theater eigentlich
geht.
    Wir

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