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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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die die Empfangsdame der Klinik mir von dem
Weg zu Dr. Joyces neuer Praxis gemacht hat. Sie sieht so aus:

    Ich starre sie an, irgendwie beunruhigt. Mein Kopf schwimmt, und
das Zimmer scheint zu kippen, als sei ich immer noch in dem
klapprigen L-förmigen Aufzug mit dem alten Fahrstuhlführer,
der ein weiteres nicht vorgeplantes und gefährliches
Aufzugschacht-Manöver durchführt. Meine Gedanken geraten
durcheinander, vermischen sich wie die Rauchsignale, die die
seltsamen Flugzeuge heute morgen hinter sich hergezogen haben (und
für einen Augenblick komme ich mir, schwankend und schwindelig,
selbst wie etwas Wolkiges und Formloses vor, chaotisch und amorph wie
der Nebel, der das komplizierte Hindernis der hohen Brücke
umwallt und sich wie Schweiß über die Schichten alter
Farbe auf ihren Trägern und Balken legt).
    Das Telefon läutet und reißt mich aus diesem
merkwürdigen Zustand. Ich hebe den Hörer ab, nur um das
gleiche, komische, regelmäßige Piepen am anderen Ende zu
hören. »Hallo? Hallo?« rufe ich. Nichts.
    Ich lege auf. Es läutet wieder, und es geschieht dasselbe.
Diesmal lasse ich den Hörer neben der Gabel liegen und bedecke
die Hörmuschel mit einem Kissen. Den Fernseher probiere ich
nicht einmal aus – ich weiß, was ich sehen würde.
    Auf dem Weg ins Bett merke ich, daß ich immer noch das
Stück Papier in der Hand halte. Ich werfe es in den
Papierkorb.

 
Drei

----
     
     
    IN MEINEM RÜCKEN HATTE ICH DIE WÜSTE, vor mir das Meer.
Das eine golden, das andere blau, trafen sie sich wie rivalisierende
Erscheinungsformen der Zeit. Das Meer wogte in der Unmittelbarkeit,
funkelte in Senken und Höhen, erhob sich weiß und fiel,
schlug den Sandstrand und atmete mit den Gezeiten… Die
Wüste bewegte sich langsamer, doch ebenso sicher; die hohen
vorrückenden Sandwellen wurden von der kämmenden Hand des
unsichtbaren Windes über das öde Land gestrichen.
    Zwischen beiden, von jedem halb begraben, lag die Ruinenstadt.
    Abgeschliffen sowohl vom Sand als auch vom Wasser, gefangen wie
etwas Weiches zwischen zwei ineinandergreifenden eisernen
Rädern, unterwarfen sich die Steine der Stadt dem Wirken des
Windes.
    Allein ging ich durch die Mittagshitze, ein weißer Geist,
der durch den niedergestürzten Schutt der zerstörten
Gebäude wallt. Mein Schatten lag unter meinen Füßen,
unsichtbar.
    Die rosenroten Steine waren kreuz und quer durcheinandergeworfen.
Die Straßen waren zum größten Teil verschwunden,
schon lange unter dem weichen, besitzergreifenden Sand begraben.
Zertrümmerte Bogen, herabgefallene Fensterstürze,
zusammengebrochene Mauern lagen auf den Sandhügeln. An der
ausgezackten Küste brachen weitere gefallene Blöcke die
hereinflutenden Wogen. Ein kleines Stück draußen auf See
erhoben sich schiefe Türme und das Bruchstück eines Bogens
aus dem Wasser. Die Wellen saugten daran wie an den Knochen der
längst Ertrunkenen.
    In die beschädigten Steine über den leeren Türen
und den sandgefüllten Fenstern waren Friese aus Figuren und
Symbolen eingemeißelt. Ich betrachtete diese merkwürdigen,
halb zu erkennenden Bilder, versuchte, ihre linearen Muster zu
entziffern. Der vom Wind mitgeführte Sand hatte an einigen der
Mauern und Balken radiert, bis die Dicke des Steins geringer als die
Tiefe der eingehauenen Symbole geworden war. Der blaue Himmel
leuchtete durch den blutroten Stein.
    »Ich kenne diesen Ort«, sagte ich zu mir selbst.
»Ich kenne dich«, sagte ich zu der stummen Ruine.
    Eine riesige Statue stand abseits von dem Hauptgebiet der
zerfallenen Stadt. Der stämmige Rumpf und Kopf eines Mannes in
drei- oder vierfacher Lebensgröße sah schräg zwischen
der Linie des schaumüberspülten Strandes und dem Zentrum
der zerstörten Bauwerke hindurch. Die Arme der Statue waren vor
langer Zeit abgefallen oder abgebrochen worden, die Stümpfe von
Wind und Sand glattgeschliffen. Die eine Seite des massigen
Körpers und Kopfes zeigte die wachsenden Wirkungen des
verheerenden Windes, aber vorn und auf der anderen Seite waren die
Einzelheiten der Figur noch zu erkennen, ein nackter Torso mit dickem
Bauch, die Brust bedeckt mit Ketten und Juwelen und seilstarken
Halsketten, der große Kopf, kahl, doch mit einer Krone
geschmückt, das Ohr heruntergezogen von Ringen, die Nase
durchbohrt. Den Ausdruck auf diesem von der Zeit abgenützten
Gesicht konnte ich ebensowenig entziffern wie die
eingemeißelten Symbole. Vielleicht war es Grausamkeit,
vielleicht Bitterkeit, vielleicht eine

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