Die Brücke
sich seiner Familie, seiner Herkunft, seines
Westküsten-Akzents zu schämen, sogar einiger der
Wörter, die er benutzte. Sie vermittelten ihm das Gefühl,
unterlegen zu sein, nicht im Intellekt, sondern in der Erziehung, in
der Kinderstube, und langsam veränderte er sich, versuchte,
einen festen Stand im Zentrum all der verschiedenen Dinge zu finden,
die er sein wollte, seiner Erziehung, seiner Klasse und seinem
Glauben treu, aber ebenso treu dem neuen Geist der Liebe, der
Alternativen, der realen Möglichkeit des Friedens und einer
besseren, weniger gierigen, weniger kaputten Welt… dazu treu
seiner eigenen fundamentalen Überzeugung, die Erde, die Umwelt,
letzten Endes alles sei begreifbar und formbar.
Dieser Glaube erlaubte ihm nicht, etwas anderes vollständig
zu akzeptieren. Die Sicht seines Vaters – so dachte er zu der
Zeit – war durch geographische Lage, Klasse und Geschichte zu
begrenzt; Andreas Freundinnen waren zu prätentiös, ihre
Eltern zu selbstzufrieden, und die Love Generation, das Gefühl
hatte er bereits – obwohl es ihm Unbehagen bereitet hätte,
das zuzugeben – war zu naiv.
Er glaubte an die Wissenschaft, an Mathematik und Physik, an
Vernunft und Verständnis, an Ursache und Wirkung. Er liebte die
Eleganz und die reine objektive Logik des wissenschaftlichen
Gedankens, der begann mit: »Angenommen…«, doch dann
fähig war, Gewißheiten, harte Tatsachen von diesem
vorurteilsfreien, uneingeschränkten Startpunkt aus aufzubauen.
Jeder Glaube begann anscheinend mit dem Befehl »Glaube!« und konnte von dieser furchterregenden Forderung aus nur Bilder
der Angst und der Tyrannei heraufbeschwören, etwas, dem man sich
unterwerfen sollte, das jedoch nur aus Unsinn, Geistern, alten
Dünsten bestand.
Es gab schwierige Zeiten in diesem ersten Jahr. Es entsetzte ihn,
daß er eifersüchtig war, als Andrea mit jemand anders
schlief, und er verfluchte die Erziehung, bei der man ihm immer
wieder und wieder eingeprägt hatte, ein Mann müsse eifersüchtig sein und eine Frau habe kein Recht,
herumzuhuren, ein Mann aber wohl. Er überlegte, ob er ihr den
Vorschlag machen solle, mit ihm zusammenzuziehen (sie sprachen
darüber).
Den Sommer mußte er im Westen verbringen. Er arbeitete
für die Straßenreinigung und fegte Blätter und
Hundehaufen von Westend-Straßen. Andrea war im Ausland, erst
mit ihrer Familie in einer Villa auf Kreta und dann zu Besuch bei der
Familie einer Freundin in Paris. Aber zu Beginn des nächsten
Jahres waren sie – zu seiner Überraschung –
verhältnismäßig unverändert wieder zusammen.
Er entschloß sich, die Geologie aufzugeben. Während
alle anderen entweder englische Literatur oder Soziologie studierten
(jedenfalls kam es ihm so vor), wollte er etwas Nützliches tun.
Er belegte Vorlesungen über technisches Design. Ein paar von
Andreas Freundinnen wollten ihn überreden, Englisch zu
studieren, weil er sich doch in der Literatur auskenne (er hatte
gelernt, darüber zu reden, statt sich nur daran zu erfreuen) und
weil er Gedichte schreibe. Andrea war schuld, daß es alle
wußten. Er hatte das Zeug nicht veröffentlichen wollen,
aber sie hatte etwas davon in seinem Zimmer herumliegen sehen und an
eine Freundin geschickt, die eine Zeitschrift mit dem Titel Radikaler Weg herausgab. Er war zu beinahe gleichen Teilen
verlegen und stolz gewesen, als sie ihn mit der Ausgabe der
Zeitschrift überraschte und sie als Geschenk triumphierend vor
ihm schwenkte. Nein, er war entschlossen, etwas zu tun, das für
die Welt von wirklichem Nutzen war. Sollten Andreas Freundinnen ihn
einen Banausen nennen, wenn sie wollten; sein Entschluß war
gefaßt. Die Freundschaft mit Stewart Mackie erhielt er
aufrecht, verlor jedoch die Verbindung mit den anderen Rockers.
An manchen Wochenenden fuhren er und Andrea zu dem zweiten Haus
ihrer Eltern in Gullane hinaus, entlang der Dünenküste des
Firth nach Osten. Das Haus war groß und hell und luftig und in
der Nähe des Golfplatzes gelegen, und es sah über das
graublaue Wasser zu der fernen Küste von Fife hinüber. Sie
blieben dort über das Wochenende und machten Spaziergänge
am Strand und durch die Dünen. In der Stille der Dünen
liebten sie sich gelegentlich.
An schönen, wirklich klaren Tagen gingen sie bis ans Ende des
Strandes und erklommen die höchste Düne, weil er
überzeugt war, sie würden von dort die drei langen roten
Bogen der Forth-Brücke sehen können, die ihn schrecklich
beeindruckt hatte, als er noch ein kleiner Junge
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